Einen der wichtigsten Grundsteine der Logik legte der griechische Philosoph Aristoteles mit seinem berühmten Satz: „Zwei einander widersprechende Aussagen können nicht zugleich zutreffen.“ Das wirkt auf den ersten Blick wie eine Binsenwahrheit, doch wenn diese Voraussetzung nicht erfüllt wäre, würde sich unsere Welt in einen Albtraum verwandeln. Eine verlässliche Kommunikation zwischen Menschen wäre unmöglich, und sämtliche Software in Computern und Chips würde sofort kollabieren.

Appliziert auf unser politisches Leben befinden wir uns aber am Rande von einem solchen Albtraum: mit dem Begriff Kommunismus. In Wikipedia gibt es dafür mehrere Bedeutungen, die sich aber in zwei Kategorien einordnen lassen:

  • Einmal als Kommunismus im ursprünglichen Sinne, gekennzeichnet durch Begriffe wie soziale Gleichheit und Freiheit, Gemeineigentum, kollektive Problemlösung, herrschaftsfreie und klassenlose Gesellschaft
  • Gleichzeitig verwenden wir aber dessen Antipoden «Kommunismus», charakterisiert durch Diktaturen unter der Vorherrschaft «kommunistischer» Parteien, in denen Menschenrechte missachtet, Regimekritiker verfolgt werden etc.

Der Begriff Kommunismus wird also gleichzeitig für beide Kategorien angewandt, obwohl es sich dabei um zwei einander widersprechende Aussagen handelt. In westlichen Ländern wird diese Diskrepanz als Trick der Diktaturen gedeutet, die sich gerne selber kommunistisch nennen, um das eigene Volk zu manipulieren.

Das Phänomen des Versteckens von Übeltaten hinter einer ehrenwerten Idee ist nicht neu. Im Mittelalter wurde die Hexenjagd im Namen des Christentums betrieben, und Hitler verkaufte seinen Machtwahn dem Volk als Nationalsozialismus. Das haben wir nachträglich korrigiert indem wir neue Worte wie Inquisition oder Nazismus lancierten.

Unverständlicherweise haben wir das beim Begriff Kommunismus versäumt. Wir lassen es stillschweigend zu, dass die Diktatoren ihr «kommunistisches» Regime Kommunismus nennen statt es mit Stalinismus, Maoismus oder anderen passenden Begriffen zu bezeichnen. Was noch schlimmer ist, wir plappern ihnen das in Zeitungen und offiziellen Nachrichten nach, als ob wir es selber glauben würden.

Das könnte man bloss für ein akademisches Sprachproblem halten; die Verletzung der Logik des Aristoteles erzeugt aber reale Probleme:

Als Beispiel werden bei der Aufarbeitung der Vergangenheit in ehemaligen Ostblock-Ländern die Gräueltaten dem Kommunismus zugeschrieben. Das verfälscht die Realität. Es geht nicht um das Ausgraben alter Sünden, sondern um die korrekte Lehre aus der Geschichte. Zu sagen, Menschen wurden vom Kommunismus unterdrückt, misshandelt und getötet, bedeutet die Aufmerksamkeit von den wahren Tätern abzulenken. Keine ominöse, zu Verbrechen verführende Ideologie, sondern stalinistische Befehlshaber und opportunistische Anhänger waren schuld. Wegen der unklaren Definition der verwendeten Ausdrücke herrscht auch heute Angst vor dem Kommunismus in seiner ursprünglichen Bedeutung. In den USA z. B. wird jede sozial orientierte Idee vom Teufel an der Wand „Das wäre Kommunismus“ schnell abgewürgt.

Theoretisch könnte die Kommunikation verbessert werden durch die Zusatzinformation, wer was sagt. Doch das löst das Problems nicht, noch wichtiger ist nämlich, wer was glaubt.

Im Westen glauben viele Menschen, die Bevölkerung in den Diktaturen sei sich ihres Leidens unter dem «Kommunismus» bewusst und wünsche sich unsere Art Demokratie. In diesem Glauben wird die Macht der Propaganda unterschätzt, insbesondere die professionelle Prägung der Kinder und Jugend.

Die Mehrheit in den «kommunistischen» Ländern glaubt an ihr Regime. Es ist kein revoltierendes Volk, das sich unterdrückt fühlt, es sind Milliarden überzeugter und handlungsbereiter Anhänger des Systems. Über die Regimekritiker wissen sie wahrscheinlich viel weniger als wir. Stattdessen glauben sie an die Behauptungen der Propaganda und identifizieren sich mit der Staatseinrichtung. Unsere Kritik ihrer Regierung und ihres Systems empfinden sie als Bedrohung – eigentlich verständlich. Stellen wir uns einmal vor, jemand würde unsere Demokratie unmenschlich nennen und erwarten, dass wir unsere Regierung bekämpfen. Wenn wir Diktaturen als kommunistisch bezeichnen, unterstützen wir die Manipulation der Völker durch ihre Führer.

Das führt zur Frage, ob es echten Kommunismus gibt und wer daran glaubt.

Es gab und gibt Ideen, die dem Wort Kommunismus inhaltlich sehr nahestehen, wie zum Beispiel «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit». Die Gründer und Anhänger dieser und ähnlicher Bewegungen glaubten und glauben auch heute daran, dass diese Ideen den Weg zu einer besseren Zukunft zeigen. Diese Ideologien tauchen seit Jahrhunderten immer wieder auf, wurden aber noch nie für eine signifikant lange Zeit realisiert.

Das könnte man auch am Beispiel von «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit» zeigen. Wir streben begeistert nach Freiheit, manchmal nach so viel, dass es zu Konflikten führt. Wir lieben Brüderlichkeit, insbesondere wenn sie mit erhobenen Gläsern gefeiert wird. Aber wir ertragen überhaupt keine Gleichheit. Der Homo concurrens wird zum grössten Teil von Konkurrenz in zahlreichen Formen angetrieben. Es gibt nur wenige Aktivitäten, welche die Menschen ohne jeglichen Zusammenhang mit Status, Position, Eigentum etc. ausüben. Diese Tendenz haben wir von unseren genetischen Vorfahren geerbt, und wir haben uns ein Habitat geschaffen, in dem Rivalität und Wettbewerb als Hauptbeschäftigung gelten, gleichzeitig aber auch die Hauptquelle von Genuss durch Erfolg sind. Für eine Welt ohne überwuchernde Konkurrenz müssten wir zuerst einen anderen Sinn des Lebens und andere Wege zum Glück finden.

Die Angst vor dem Kommunismus ist ein Aberglaube – der Glaube an den Kommunismus vorläufig auch.