Es gab sie, die Allein-Herrscher, und es gibt sie. Sie sind sehr selten, können aber eine enorme Wirkung ausüben. In den letzten Jahrhunderten verursachten weniger als ein Dutzend solcher Individuen Tod und unvorstellbares Leid von Millionen Menschen.

Dabei sind sie einfach zu erkennen. Ihre auffallende Eigenschaft ist ein Charisma, mit dem sie in vielen Menschen deren oft unbewusste, versteckte Tendenzen zum Kampf, zur Eroberung oder Verherrlichung der Heimat wecken. Beispiele aus der letzten Zeit sind Hitler, Stalin und neuerdings Putin.

In der Regel wirken sie anfänglich als fähige Politiker mit nachvollziehbaren Zielen, mit der Zeit nimmt eine Tendenz zu Masslosigkeit bis zum Realitätsverlust zu. Mehrere historische Figuren dieser Art wurden nachträglich als psychisch angeschlagen beurteilt – man diagnostizierte Megalomanie kombiniert mit Paranoia. Typischerweise finden sie einen Weg, wie sie nicht nur Allein- sondern auch Dauerherrscher werden.

Ihre negative Entwicklung wird teilweise vom bekannten Phänomen verstärkt, dass ihre Anhänger sie mit der Zeit unvollständig bis ganz falsch über die Realität informieren. Somit entwickeln sie eine Art Berufskrankheit – „Deformation professionelle“, eine Sicht der Welt, in der alles immer nach ihren Vorstellungen abläuft. Als Herrscher erleben sie nie Misserfolge, Versagen oder Verweigerung ihrer Befehle, so dass solches bei ihren Entscheidungen einfach fehlt.

Als Beispiel erinnere ich mich an einen Fall in der Tschechoslowakischen Republik während der sowjetischen Okkupation. In der Fabrik, wo ich arbeitete, wurde ein grosser Ausbau mit mehreren neuen Gebäuden geplant. Das Projekt gehörte zu den „Beweisen“, wie prächtig sich die Sowjetunion und ihre Satellitenländer wirtschaftlich entwickelten. Alle Fortschritte des Projektes wurden von Presse, TV und Plakaten ständig dokumentiert.

Dann näherte sich die Zeit des Abschlusses, bereits wurden Details der geplanten Abschlussfeierlichkeiten, insbesondere der Besuch der höchsten „Instanz“, des Vorsitzenden der Partei, publiziert. Auch eine sowjetische Delegation wurde erwartet. Zum Erstaunen von vielen Fabrikangestellten war aber der Platz, auf dem eines der neuen Gebäude stehen sollte, immer noch leer. Erst etwa vier Wochen vor dem Ende wurden vorgefertigte Bauteile gebracht, blieben aber weitere zwei Wochen ungenutzt liegen.

Diese Situation weckte viel Neugier; Fachleute behaupteten, dieser Bau könne mit keiner Technologie rechtzeitig realisiert werden. Die Propaganda hielt aber am krönenden Abschluss des ganzen Projektes fest. Eine Woche später kamen mehrere Bagger und gruben an der geplanten Stelle ein grosses Loch. Die Spannung und Neugier von mehreren Tausend Angestellten wuchs. Die Lösung hat aber niemand geahnt. Die Bagger schoben das Baumaterial in das Loch und deckten es mit der vorher ausgegrabenen Erde zu. Am letzten Tag wurden auf dem entstandenen Hügel Bäumchen gesetzt.

Das tönt wie eine Szene aus einem Kabarett, es ist aber tragisch. Welche Angst mussten die Untertanen des Diktators haben, da sie lieber Material in Millionenwert vernichteten, als dem Herrscher zuzugeben, dass ein Teil des Plans nicht erfüllt sei! Vielleicht waren sie sich sicher genug, dass ihn der wahre Sachverhalt unmöglich erreichen könne.

Die Geschichte hat noch eine Kehrseite. Die Feierlichkeiten gipfelten in den Reden der hohen Politiker, die betonten, dass das Projekt vollständig und rechtzeitig abgeschlossen wurde. Die Medien bejubelten das noch tagelang. Somit wurde umgekehrt auch die Bevölkerung belogen und in vielen Menschen der Eindruck einer erfolgreichen Staatspolitik erweckt. Die Propaganda lobte die „Partei- treuen Mitbürger“, die den Erfolg realisiert hatten, allerdings mit der deutlich formulierten Erwartung an alle, die von Partei und Staat vorgegebenen Pflichten zu erfüllen.

Somit ist die Täuschung „vollkommener Führer“ mit dem Anspruch „vollkommenes Volk“ verknüpft. Auch hier gibt es Beispiele von Handlungen, die uns in demokratischen Ländern absurd vorkommen müssen. Eines davon ist Stalins Reaktion auf das Ballett «Bolzen» des Komponisten Dimitri Schostakowitsch. In der Handlung versucht ein imperialistischer Agent Sabotage im sowjetischen Betrieb auszuüben. Das gelingt ihm nicht, was der für Kunstwerke gewünschten Doktrin entspricht. Allerdings wird der Saboteur im Ballett vorübergehend von einem russischen Angestellten unterstützt. Das war für die Überwacher bereits eine Verletzung der Propaganda-Regeln. Das Werk wurde nach der Premiere aus dem Programm entfernt, der Librettist landete im Gulag, und Schostakowitsch litt an schweren Ängsten, er könnte verhaftet werden (nicht nur als Folge dieses Vorfalls).

Wir im Westen können uns schwer vorstellen, in einer solchen Atmosphäre zu leben. Wir würden auch erwarten, dass die Konkurrenten des obersten Diktators allzu auffallende Ungereimtheiten zu seinem Sturz nutzen würden. Bei meinem Studienaufenthalt in Moskau habe ich versucht das Thema „potentielle Fehler“ zu klären. Ich musste sehr vorsichtig vorgehen, weil bereits eine Andeutung, das „kommunistische“ System könne eine Unvollkommenheit aufweisen, Misstrauen weckte. Mit dem Vorwand, dass wir in den Satelliten-Ländern noch unerfahren seien und entsprechend auch Fehler machten, kam ich etwas weiter.

Gemäss meiner Deutung würden die Systemanhänger eine Fehlhandlung nur in den „unteren“ Schichten der Staatsregierung für möglich halten. Je höher in der Macht-Pyramide getroffen, desto sicherer war jeder Entscheid korrekt. Ein Gesprächsteilnehmer drückte seine Überzeugung mit einem Satz aus, der mir im Gedächtnis blieb: «Die oberste Parteiführung, und insbesondere Genosse Stalin können ja gar keinen Fehler machen, weil sie doch entscheiden, was korrekt und was falsch ist». Punkt.

Dies erinnert an ägyptische Pharaonen, die sich zu Halbgöttern ernannten. Von breiten Schichten der Bevölkerung wurden sie auch als solche empfunden. Das Volk erblickte eine Figur auf goldenem Thron, vor der alle weit und breit niederfielen. Indem es sich auch so verhielt, trug es zur Festigung dieser Illusion bei.

Stalin konnte sich nicht gut zum Halbgott erklären, denn er hatte die Religion verboten und musste sich mit dem Titel Generalissimus zufriedengeben. Doch hat er die Aura eines unfehlbaren Wesens in breiten Schichten der russischen Bevölkerung erreicht – und wird nach der Entstalinisierung unter Chruschtschow – von Putin und seinen Anhängern wieder auf diesen Thron gehoben.

Die Macht der Alleinherrscher findet ein ideales Instrument in der Macht der Propaganda. Wenn sich ein Alleinherrscher selbst zum Dauerherrscher ernennt, der intensiv Propaganda betreibt, muss man das als Warnsignal sehr ernst nehmen.