1. Oktober 1989

Dieses Tagebuch schreibe ich für mich, damit ich in meinem Wahn mindestens mit mir selber über Sachen sprechen kann, die ich mich nicht meinen Bekannten zu sagen traue.

Es begann alles mit dem Buch über die Kontakte mit Ausserirdischen. Offensichtlich machte es mich halb verrückt. Als ich das Buch fertig las, ging ich in den Hochwald spazieren und sann noch ein wenig über die Möglichkeit nach, dass es auf anderen Sternen vielleicht auch Lebewesen gibt. Zugegeben, ich spielte auch mit dem Gedanken, was ich selber tun würde, wenn ich plötzlich einem Fremden begegnen sollte. Es müsste ganz aufregend sein, als Vertreter der Menschheit ihn über unsere Errungenschaften zu informieren. „Vielleicht ist er sogar soeben in der Nähe“, ging meine Phantasie noch einen Schritt weiter, „nur kann ich ihn nicht sehen“. „Vielleicht kann aber er mich sehen oder hören“. In einem kindischen Einfall rief ich in Gedanken: „Hallo, hier bin ich, hörst Du mich?“

Und dann begann es. Entweder bekam ich eine Halluzination, oder es meldete sich wirklich jemand oder etwas, auf jeden Fall glaubte ich plötzlich zu wissen, wie eine Antwort eines wohl unsichtbaren, aber doch wahrnehmbaren Gegenübers sein könnte. Und diesem Jemand konnte ich dann wieder etwas sagen, und er reagierte darauf. Ich kam in eine Art Selbstgespräch, in dem ich abwechslungsweise für mich und für einen gedachten Ausserirdischen sprach.

Als Erstes dachte ich, wenn hier wirklich ein Fremder käme, würde er mich wahrscheinlich nach meinem Namen fragen. Zuerst zögerte ich kurz, ob ich mich auf eine hochoffizielle Art vorstellen sollte, entschied mich dann aber, nur meinen Vornamen zu sagen.

Mit Leichtigkeit – die mich selbst etwas überraschte – fiel mir ein, der Ausserirdische selbst könnte MRX-8471 heissen. Der Name würde zwar zu ihm passen, kam mir aber zu kalt vor, und ich taufte ihn ‚Emerix‘.

Seitdem kann ich diese Spielerei nicht mehr loswerden. Nachts träumte ich von einem langen Gespräch mit Emerix, und auch tagsüber hatte ich öfters Tagträume, in denen die Gespräche weitergeführt wurden. Wenn ich nun durch die Strassen gehe, fällt mir immer wieder ein, wie ich Emerix dies oder jenes erklären könnte. Er ist aber manchmal sehr schwer von Begriff und stellt komische und naive Fragen. Seltsamerweise gelingt es mir öfters nicht, ihm eine kurze, schlagfertige Antwort zu geben. Wie zum Beispiel bei der Diskussion über Zeitungen.

Natürlich möchte ich Emerix am liebsten alles selber erzählen. Damit er aber nicht meinte, wir hätten keine modernen Informationsmedien, machte ich ihn auf die Zeitungen aufmerksam. Vielleicht war ich durch meine Phantasien überstrapaziert oder müde, auf jeden Fall wurde mir plötzlich richtig schlecht. Ich sah Emerix rot glühen und bekam eine unerklärliche, fürchterliche Angst. Die Zeitung ist in meinem Traum in einem Blitz verschwunden, das Seltsamste war, dass ich sie am nächsten Morgen nicht mehr finden konnte. Emerix schien noch lange ganz aufgeregt zu sein und behauptete, unsere Zeitungen gäben die Fakten nicht wahrheitsgetreu wieder. Das sei ungemein gefährlich, man dürfe doch den anderen nichts mitteilen, was nicht die bewiesene Wahrheit wiedergibt. Eigentlich hat er recht, aber, und da musste ich schmunzeln, wie würden alle unsere Zeitungen und Nachrichten schrumpfen, wenn sie nur Wahrheiten publizierten!

Ich versuchte ihm dann die feineren Nuancen unseres Lebens zu erklären und ihm Begriffe wie Diplomatie und Politik beizubringen. Auch das war aber unerwartet schwer. Er sagte dann, er müsse für seinen Übersetzer das richtige Verständnis überprüfen, und fragte, ob Politik der Ausdruck für ‚Manipulieren von vielen PTR’s sei, damit wenige PTR’s Vorteile geniessen können‘.

Zuerst mussten wir noch den Nonsens mit dem Begriff PTR klären; er meinte, wir Menschen hiessen PTR’s.  Dann versuchte ich ihm zu zeigen, dass das Wort Politik ja von ‚Polis‘ abstammt und bedeutet, dass die gewählten politischen Vertreter für das Wohl des Volkes arbeiten. Dann stellte Emerix wieder eine ganz verrückte Frage über den Unterschied zwischen einem Begriff und der Realität. Er schien ganz verwirrt zu sein und fragte, ob wir eine Tatsache jeweils durch ein Wort mit der umgekehrten Bedeutung ausdrückten. Wahrscheinlich war ich dann derjenige, der stutzig aussah. Er erklärte mir, alle unsere historischen Bücher bereits studiert zu haben, und behauptete, dass die politischen Aktionen, statistisch gesehen, keine positive Korrelation mit dem Wohl der Völker aufwiesen. Ich fand es nicht ganz taktvoll von ihm, Beispiele der misslungenen politischen Verhandlungen aufzustöbern, die zu Kriegen und anderen Leiden führten, und dazu noch zu behaupten, er habe fast keine anderen Beispiele gefunden.

Der Gipfel war seine These, unsere Entwicklung gehe diesbezüglich rückwärts, vom Besseren zum Schlechteren, und er plapperte etwas über eine umgekehrte Zeitachse. Ich muss ihm nächstes Mal etwas von unseren technischen Errungenschaften zeigen, damit er unsere Fortschritte sieht.

Inzwischen bekam ich richtig Übung in diesen gespaltenen Gesprächen. Manchmal komme ich mir wie der Mann aus der Schachnovelle von Stefan Zweig vor. Ich kann von mir zu Emerix so leicht umschalten, als ob wir wirklich zwei verschiedene Wesen wären. Es kam mir auch der Gedanke, wie sich wohl ein Fremder auf einem fremden Planeten fühlt und was er in sein Tagebuch schreiben würde, wenn er eins führte. In der Nacht träumte ich prompt davon, seinen Roboter, den er Translator nennt, zu fragen, ob Emerix ein Tagebuch schreibe, und wenn ja, ob ich es sehen dürfte. Es folgte dann ein verblüffend klarer Traum, in dem ich Folgendes lesen konnte:

 

MRX-8471

ksif12547.4

Eines der erstaunlichsten Merkmale der PTR’s ist ihre Kommunikation.  Einerseits scheinbar sehr vielseitig, andrerseits oft weitgehend verwirrend.  Der Gipfel ist: verwirrend nicht nur für unseren Translator, sondern, wie es aussieht, für die PTR’s auch.

Vorläufig scheint die Kommunikation der PTR’s mindestens über folgende Kanäle übermittelt zu sein: Tagebuch, Träumen, Denken, Sprechen, Singen, Zeitungen, Küssen, Geld, Lügen, Lernen, Brief, Nachrichten, Plakate, Internet, Terroranschläge und Kino. Es würde mich nicht überraschen, wenn es noch mehr gäbe.

Bisher ist es mir nicht gelungen, eine dieser Ausdrucksmöglichkeiten zu begreifen oder zu erlernen. Viele interessante Tatsachen erfuhr ich aus dem Tagebuch von PTR und probiere mich nun in dieser Art zu üben. Ich beauftragte den Translator, meine Übungen in die PTR-Formen zu übersetzen, damit ich sehe, ob überhaupt ein wahrnehmbares Produkt entsteht.

Zur Verdeutlichung des Begriffes Tagebuch werde ich später Beispiele aus dem PTR-Tagebuch zeigen. Vorher muss ich aber eine WARNUNG höchster Stufe aussprechen für den Fall, dass jemand diesen Text aufnehmen möchte. Alles was mit den Aussagen von PTR’s zusammenhängt, kann äusserst lebensgefährlich sein.  Es war auch für mich einer der kritischsten Momente auf ?ks5iejngöa83?.

Nach der Ankunft gelang es mir lange nicht, den Kontakt mit PTR’s aufzunehmen. Sie reagierten auf keines meiner Signale kohärent. Plötzlich hörte ich aber einen fast verständlichen Zuruf: ‚Ich möchte Dich treffen.‘ Der Ruf stammte von einem PTR. Er sah mich an, schien mich aber nicht zu sehen. Auf meine freundlichen Grüsse reagierte er nicht, seine Entität schien sogar leicht gestört zu sein. Nach mühsamen Versuchen gelang es mir, einen schwachen Kontakt mit ihm aufzubauen. Ich stellte mich vor und fragte nach seiner Form. Er bezeichnete sie als ‚e…e..Peter‘. Der Translator erkannte die Frequenzmischung ‚e‘ als ein Verlegenheitsgeräusch, wonach sich die Spezies der ?ks5iejngöa83? offensichtlich PTR’s nennt. Warum er auch innerhalb der eigenen Bezeichnung zögerte, wie wenn er es nicht genau wisse, ist noch nicht klar. Es könnte aber mit den erstaunlich geringen Kenntnissen der PTR’s über sich selbst zusammenhängen. Es scheint überhaupt, dass die PTR’s sich selber unvorstellbar wenig Aufmerksamkeit widmen, obwohl sie im Allgemeinen sehr geschäftig wirken. Dieses Thema möchte ich aber ein andermal üben.

PTR schien gierig zu sein, Auskunft über die PTR’s zu geben. Seine Motivation dazu bezeichnete er als ‚Stolz‘ (Retranslation ohne Inhaltserkennung, Trsl.). Auf meine Frage, wie ich auch ohne seine Hilfe mehr über die PTR’s erfahren könne, schlug er mir einen Träger, genannt Zeitungen, vor. Ich liess, etwas unvorsichtig, den Scanner einige Zeitungen aufnehmen und übersetzen. Während einiger Wahrnehmungszyklen dachte ich wirklich, dass der PTR unter dem Vorwand unschuldigen Handelns den Versuch eines raffinierten Attentats auf mich unternehmen wollte. !Vor weiterem Aufnehmen Schutzsysteme einschalten! Der Träger Zeitung enthielt eine Behauptung, präsentiert als ein Faktum, das ein anderer Träger Zeitung als Nicht-Faktum bezeichnete! Eine selbstmörderische Formel ‚A und A-Invers gleichzeitig wahr‘!

In meiner Selbstverteidigungsreaktion habe ich den PTR fast eliminiert. Er strahlte aber eine deutliche Unkenntnis seiner Missetat aus. Es stellte sich tatsächlich heraus, dass die PTR’s in der Lage sind, solche zerstörerischen Zustände zu überleben; er selber schien durch die gleichzeitige Präsenz mehrerer Zeitungen nicht einmal bedroht zu sein. Wie diese Spezies eine solche Immunität entwickeln konnte, ist unbegreiflich, aber doch eine bewiesene Tatsache. Sie leben in einer der giftigsten psychischen Atmosphären, in ihrer bildlichen Sprache müssten sie dies wahrscheinlich selber als eine Art ‚konzentrierter Schwefelsäure‘ bezeichnen. PTR lächelte nur über diesen Zustand und sagte, das sei allen PTR’s mehr oder weniger bekannt. Einzelne PTR, oder ihre Sprecher, die sich Regierungen nennen, sind in der Lage, konkrete Geschehnisse, die ja nur einen einzigen Wahrheitsgehalt haben können, mit verschiedenem Gehalt weiterzuverbreiten. PTR versuchte zu erklären, dass – !Warnung! – einzelne PTR’s durch das Verbreiten von ‚Nicht-Wahrheit‘ Vorteile erreichen können.

Dem Translator sind darum die grammatischen Formen immer noch unklar. Es sei noch unsicher, ob eine Tatsache durch die Form ‚Es ist‘ oder durch ‚Es ist nicht‘ ausgedrückt wird. Unzählige eindeutige, meistens unerhört grausame Fakten wurden von einer Gruppierung der PTR’s als ‚Es ist‘, von einer anderen jedoch als ‚Es ist nicht‘ beschrieben. Die hier verwendete Form wurde von einem Zufallsgenerator entschieden, es ist nicht ausgeschlossen, dass alle Angaben in der PTR-Sprache in ihrer inversen Form ausgedrückt werden müssten.

Ich übe zuerst die Tagebuch-Sprache, weil PTR sie die Hochwahrheitsform nannte, eine ‚Kommunikation mit mir selbst in der Zukunft, wenn ich es wieder lesen werde‘.

Dieser Gedanke eines Gespräches mit mir selber in einer anderen Zeitkoordinatenexistenz macht mich fast schwindlig, aber die PTR’s verkraften auch das offensichtlich ohne Probleme. Eine besondere Bedeutung müssen dabei die Worte Zukunft und Zeit haben. Die PTR’s schreiben dem Parameter Zeit eine unverhältnismässige Bedeutung zu, vielleicht darum, weil sie, allem Anschein nach die Kenntnis der anderen, wichtigeren grunddimensionalen Parameter nicht besitzen.

Gemäss dem Translator soll der Begriff Zukunft die Entwicklungsrichtung der Zeitachse ausdrücken. Auch hier ist aber noch ein Geheimnis zu lösen. Die physikalische Zeit weist auf der ?ks5iejngöa83? öfters die umgekehrte Richtung auf als die Entwicklungszeit! Beispielsweise nimmt die Anzahl Spezies auf ihrem Planeten mit der fortschreitenden physikalischen Zeit ab! Ein bisher nie beobachtetes Phänomen. Ihre sogenannten Spezialisten verlieren während ihrer Arbeit zunehmend die Gesamtübersicht und reduzieren ihr Wissen auf immer engere Gebiete. Ein der natürlichen Entwicklung konträrer Prozess. Auch in ihrem persönlichen Leben sind sie als Kinder noch wahrnehmungsfähig, offen, zutraulich und nach verständlichen Zielen strebend. Während der fortschreitenden physikalischen Zeit durchlaufen sie aber meistens eine negative Entwicklung, verfallen einem krankhaften Streben nach mysteriösen Energien, wie zum Beispiel ‚Karriere‘, beginnen einander zu manipulieren, verlieren ihr spontanes und natürliches Verhalten etc. (Karriere: rationale Bedeutung: keine; statistische Auswertung: selbstschädigende Bevorzugung von unerwünschter Beschäftigung für mehr Geld auf Kosten einer erwünschten Tätigkeit, die aber schlechter bezahlt wird. Trsl.)

Ein Gespräch mit PTR zu diesem Thema brachte keine Klärung. Einen Teil der umgekehrten Entwicklungen begründet er mit Aussagen vom Logikinhalt nahezu Null, andere Phänomene nimmt er gar nicht wahr.

Beim erwähnten Beispiel des Aussterbens von Lebewesen realisierte er korrekt, dass es die Folge der mechanischen und chemischen Tätigkeiten der PTR’s ist, beharrte aber auf der Behauptung, die PTR’s entwickelten sich doch in der positiven Richtung. Die Oxidation der Wälder und Kohlenstoffe, die Produktion von Spielzeugen und Waffen und die Zerstörung des Lebensraums seien für die wirtschaftliche und politische Stabilität notwendig.

(‚Wirtschaft‘ könnte eine weitere, bisher unbekannte Form der mysteriösen Energie sein, welche die PTR’s auf unerklärliche Art antreibt. Diese Energie wird auch oft in der Kommunikationsform ‚Geld‘ ausgetauscht. Seltsamerweise konnte der Analysator weder in wirtschaftlichen Aktivitäten noch im Träger Geld die geringste Spur einer brauchbaren Energieform detektieren, auch bei der grössten Verstärkung nicht.) Ich sollte neben der Tagebuch-Sprache auch die Geld-Sprache üben.

 

  1. Oktober 1989

Emerix übertreibt. Ich bin ja auch für Umweltschutz und Natur, aber zu sagen, dass wir eine rückläufige Entwicklung durchmachen, ist zu viel. Vielleicht kann er unsere Fortschritte nicht sehen, möglicherweise sind die MRX’s technisch so unterentwickelt, dass er es auch nicht verstehen kann.

Am liebsten möchte ich ihm endlich unsere besten Errungenschaften präsentieren, er ist aber im Moment nur an unseren Finanzen interessiert. Ehrlich gesagt bin ich nach einer langen Diskussion mit ihm zu diesem Thema richtig erschöpft, vielleicht darum, weil ich mich hier auch nicht besonders gut auskenne. Das Schlimmste ist aber doch seine Unfähigkeit, menschliche Regungen zu verstehen.

Als ich ihm die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel erklärte, stellte er sich ganz dumm und tat so, als ob ihm das zu wenig wäre. Zum Glück erinnerte ich mich noch schöner Beispiele aus der Schule, über die Tauschsysteme in vorchristlichen Zeiten. Ich wollte es ein bisschen witzig darstellen und fragte ihn, was er von uns denken würde, wenn jeder nur Ware gegen Ware tauscht. Ich hoffte, er würde die Lächerlichkeit der Situation sehen, wenn ein Viehzüchter immer eine Kuh mit sich durch die Stadt schleppen müsste, um sie zum Beispiel gegen eine Ladung Backsteine zu tauschen. Und die Ineffizienz! Wie viele Menschen würden in einer unproduktiven Tätigkeit Zeit und Energie verlieren! Wir sparen doch sehr viel Aufwand, wenn wir unsere Zahlungen mit dem Geld oder sogar über unsere Konten erledigen.

Er lächelte aber gar nicht und sagte, er verstehe die Notwendigkeit, für einen benötigten Gegenstand eine Kuh zu geben, nur schlecht, den Tausch gegen ein Stück Papier aber überhaupt nicht. Und was die Effizienz betrifft, kam er mit ganz eigenartigen Behauptungen. Gemäss seiner Schätzung falle fast ein Drittel der menschlichen Aktivitäten der Beschäftigung mit Geld zum Opfer (sein Ausdruck). Wenn auch die Energie des Denkens oder der Sorgen wegen des Geldes dazugezählt würde, und auch die damit zusammenhängenden Aufwendungen, wie zum Beispiel das Streben nach Positionen zwecks besserer Entlohnung, die Ausbildung der Kinder für ‚bessere Lebenschancen‘ und angeblich unzählige ähnliche Tätigkeiten, dann wäre mehr als die Hälfte der Menschheit damit beschäftigt.

Zuerst wollte ich ihn auslachen, weil das ja nicht stimmen kann, er forderte mich aber auf, ihn einen Tag lang überall mitzunehmen und zu schauen, wie viele Menschen sich mit dem Geld beschäftigen. Hier muss ich zugeben, dass ich eine Zeit lang verblüfft war. Hat er es so gedreht, dass wir ein falsches Bild bekamen? Er fand aber tatsächlich fast auf Schritt und Tritt Leute, die etwas mit Geld zu tun hatten: im Kaufhaus zeigte er mir die Kassiererinnen und die Leute in der Schlange vor der Kasse, in Geschäften die Verkäuferinnen, in Restaurants die Kellner. Als wir an Büros vorbeiliefen, behauptete er, dass nur ein Bruchteil der Angestellten nötig wäre, wenn überall die Kosten, Fakturen, Rechnungen, Budgets, Inventuren, Controlling und Ähnliches ausgelassen wären. Sogar der Verkauf von Zeitungen, einem Gegenstand mit so wenig Wert (‚mit einem gefährlichen Wert‘, hörte ich ihn brummen, natürlich, Emerix und sein Zeitungentick), verlange der Menschheit Millionen Stunden ab. Dann multiplizierte Emerix den Aufwand der Verkäufer mit zwei, weil beim Zahlen ja auch jeweils der Kunde Zeit aufwendet. Auch wenn es sich dabei nur um kurze Zeit handelt, ergibt sich doch wieder eine grosse Summe.

Dann kamen alle Institute an die Reihe, die sich mit dem Geld, seiner Verwaltung, dem ‚Umschaufeln‘ und der Überwachung beschäftigen, wie Banken, Finanzinstitute, Steuerbehörden, Wirtschaftsschulen etc. Zum Schluss behauptete Emerix, er könne eher über die Vergeudung unserer Energie durch unser Geldsystem lachen als über den Menschen mit einer Kuh im Schlepptau. Und das Geld bringe uns keine Effizienz, sondern koste uns fast die Hälfte der besten produktiven Kräfte. Zum Schluss stellte er noch fest, dass unsere Beschäftigung mit Geld im Begriff sei zuzunehmen.

„Oh Gott“, dachte ich, „jetzt kommt noch sein Lied mit der umgekehrten Entwicklungsachse, wahrscheinlich etwa im Sinn, dass eine natürliche Entwicklung nach Arbeitseffizienz strebe, hingegen die unsrige zu kleinerer Effizienz führe.“

Da musste ich schnell mit einem anderen Argument ausrücken. Geld ist ja nötig, damit jeder für seine Arbeit den verdienten Lohn bekommt und umgekehrt damit sich keiner die Produkte der Arbeit von anderen nehmen kann.

Dann lachte er plötzlich, aber ganz frech, und fragte mich, ob ich es wirklich ernst meine. Sein Analysator sage ihm, dass im Gegenteil die Menschen das meiste Geld besässen, welche in ihrem Leben kaum je eine produktive Tätigkeit ausübten, und das Geld umgekehrt die unverdiente Verfügung über die Resultate der Arbeit von anderen Menschen ermögliche. Zudem rechnete er mir aus, wenn alle Menschen, die bei uns mit Geld beschäftigt sind, eine produktive Arbeit leisteten, hätten wir einen solchen Überfluss an Spielzeugen, ich wollte sagen an materiellen Gütern, dass jeder Erdbewohner alles haben könne, was er sich nur wünsche. (Für den Versprecher „Spielzeuge“ ist auch Emerix verantwortlich. Er bezeichnet die Konsumgüter hartnäckig als ‚Spielzeuge‘ und will nicht verstehen, dass es Gegenstände sind, die sich erwachsene Menschen wünschen.)

Emerix drückte mich langsam in die Ecke. Er wollte wissen, wozu denn das Geld sonst noch diene, die Menschen verschwendeten doch nicht die Hälfte ihrer Kapazität ganz sinnlos. Auf das Thema Geld als Träger eines bestimmten Status seines Besitzers wollte ich ursprünglich gar nicht eingehen, wusste aber im Moment nichts Besseres. Vorsichtig versuchte ich ihn in die etwas delikaten Fragen der sozialen Klassen, des Prestige, der Prominenz und überhaupt der Vorteile, die das Geld repräsentiert, einzuweihen.

Vorher staunte ich über die unglaublichen Fähigkeiten seiner Roboter. Sein Translator drückt sich zwar manchmal ein bisschen unbeholfen aus, versteht aber angeblich sämtliche unsere Sprachen und dazu noch das ‚Quietschen‘ von Emerix. Es ist aber zum Schluss offensichtlich doch nur eine Maschine; bei den Übersetzungen meiner Erklärungen über unser soziales Leben muss er kläglich versagt haben. Denn Emerix jammerte ständig, er bekomme aus meinen Sätzen nur Fetzen der Hilfsworte, dazwischen lauter ‚Bedeutung unbekannt‘ oder ‚Bedeutung widersprüchlich‘. Er bat mich um genauere Angaben für seinen Translator. Ich tat, was ich konnte, es war aber äusserst mühsam. Diese Spinnerei mit Emerix geht mir auch langsam auf die Nerven. Ich habe mich entschieden, ins Kino zu gehen, damit ich ganz abschalten kann.

 

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PTR macht eine Psycho-Erhärtungsübung. Er nennt es Kino, was ich ursprünglich für Kommunikation hielt. Es ist aber eher ein Training, in dem sich die PTR’s freiwillig meist brutalen Geschichten und Szenen aussetzen. Abwechslungsweise werden sie dann auch mit angenehmen Regungsauslösern behandelt. Das Kino im körperlichen Bereich heisst ‚Sauna‘. Der Zweck der Sauna ist besser zu begreifen, sie führt zur Abhärtung, zur erhöhten Widerstandsfähigkeit. PTR konnte keine Notwendigkeit solcher Massnahmen beweisen. Die körperliche Abhärtung kann aber angeblich bei Strapazen und Härtefällen von Vorteil sein. Aus dieser Analogie ergibt sich die Funktion des Kinos als das Abhärten der menschlichen Seelen. Wahrscheinlich befürchten die PTR’s drohende psychische Strapazen und versuchen sich in Kinos für diese Fälle abzuhärten.

Übrigens sollte die Bezeichnung PTR’s korrigiert werden. Der Translator kann jetzt ein Verlegenheits ‚e‘ von anderen ‚e’s‘ unterscheiden. Die PTR’s nennen sich selber Menschen und PTR Peter. PTR tönt aber viel angenehmer, und ich werde darum in meiner Tagebuch-Übung diesen Namen weiterverwenden.

Die ersten Versuche mit der Geld-Sprache verliefen negativ. Manchmal bezweifle ich, ob es überhaupt eine Sprache ist. Wenn sie aber so oft und mit so viel Aufwand angewandt wird, muss sie doch sehr wichtig sein. Ich versuche mein Verständnis zu ordnen, während PTR sein Abhärtungstraining durchmacht.

Es ist vor allem die Widersprüchlichkeit der Aussagen, die viele Probleme verursacht. PTR gab Erklärungen zur Bedeutung der Begriffe aus der Geld-Sprache, der Translator meldet aber Konflikte und Diskrepanzen. Ich versuchte seine Angaben mittels der gespeicherten historischen Daten der PTR’s zu analysieren. Die von PTR mitgeteilte Bedeutung wurde jeweils an einer grossen Anzahl Beispiele mit dem reellen Verlauf der Ereignisse überprüft. Der Analysator sollte dann eine ’statistische‘ Bedeutung des Wortes definieren, einen Inhalt also, den das Wort in der Wirklichkeit der PTR’s repräsentiert. Nun ergab die statistische Realität vieler Worte einen diametral anderen Sinn als ihre ‚offizielle‘ Bedeutung in der PTR-Sprache.

Hier einige Beispiele:

GELD

Definition von PTR: Geld ist eine der erledigten Arbeit proportionale Belohnung. Umgekehrt können gegen Geld sowohl notwendige wie auch angenehme Dinge ausgetauscht werden (siehe ‚Kauf‘).

Befund des Analysators: Bei der ersten Analyse wurde keine Korrelation zwischen einer sinnvollen Arbeit und dem erhaltenen Geld gefunden, ebenso fanden sich keine Beispiele des Erwerbs eines Positivums gegen Geld. Die Gesamtstatistik wies aber doch auf die Existenz solcher Zusammenhänge hin. Später zeigte sich eine interessante Erklärung dieses Rätsels: Der Analysator begann, den logischen Gesetzen folgend, die Geldeigenschaften zuerst an Aktivitäten im grossen Massstab auszuwerten. Bei den PTR’s mit grossem Gelderwerb wurde aber keine überproportional grosse Arbeitsleistung registriert, in der Mehrheit der Fälle sogar überhaupt keine. Bei den kleineren Geldtransaktionen zeichnete sich bereits ein gewisser Zusammenhang ab. Aber erst bei den PTR’s mit dem unbedeutendsten Erwerb wurde eine strenge Regelung der Arbeit und des Lohnes identifiziert werden.

Ähnlich überraschende ‚auf den Kopf gestellte Relationen‘ entdeckte der Analysator beim Kaufpotential des Geldes. PTR bezeichnete als die am meisten geschätzten Werte der PTR’s die Kategorien Glück, Zufriedenheit, Gesundheit, Liebe (Ausdruck mit vieldeutigem Inhalt, Trsl.), Freundschaft und gute Beziehungen zu anderen PTR’s. Keiner dieser Wünsche lässt sich durch Tausch gegen Geld erfüllen, und darum verwarf der Analysator zuerst die Hypothese, dass etwas für das Geld erhältlich sei. Erst bei der Berücksichtigung von weniger wichtigen Wünschen kommt die Bedeutung des Geldes zum Vorschein. Am deutlichsten ist sie dann beim Kauf der Spielzeuge (siehe ‚Spielzeug‘). Vielleicht könnte anhand dieser Abhängigkeit der Wert von Gegenständen und Diensten gemessen werden: Je einfacher sie gegen Geld eingetauscht werden können, desto weniger wert sind sie.

Die statistische Auswertung des Analysators für das Wort Geld ergibt: Geld dient zur Markierung von PTR’s, die wenig oder nichts leisten und zum Erwerb von Gegenständen, die wenig oder nichts wert sind.

Die PTR’s müssen sehr ehrlich sein, weil sie sich freiwillig und eifrig selber markieren, wenn sie Unterdurchschnittliches leisten.

 

SPIELZEUG

Dieses Wort gehört möglicherweise nicht direkt in die Geld-Sprache, muss damit aber in enger Beziehung stehen.

Definition von PTR: Spielzeug ist ein Gegenstand von meist geringem Wert (er kann aber einen hohen Geldwert haben – eine Bestätigung der oben diskutierten Hypothese. Analysator.). Ein Kind braucht es zum Spiel, indem es sich in seiner Fantasie vorstellt, das Spielzeug stelle einen Gegenstand mit einem anderen, meistens höheren Wert dar.

Der Analysator ist mit dieser Definition einverstanden, findet aber eine Diskrepanz in der weiteren Klassifizierung der Spielzeuge. PTR sieht nicht ein, dass die gleiche Definition auch für Konsumgüter, Luxusgegenstände und Statussymbole gilt, wenn das Wort Kind durch das Wort erwachsener PTR ersetzt wird. Diese Gegenstände bilden somit logischerweise nur Subgruppen des Oberbegriffes Spielzeug.

Die statistische Bedeutung des Wortes Spielzeug (sie gilt auch für die Untergruppen Konsum- und Luxusgüter, Statussymbole etc.): Gegenstände mit meist geringem Wert, denen durch PTR’s ein höherer Wert zugesprochen wird.

 

PROMINENZ

Definition von PTR: Prominente sind Menschen, die durch eine besondere Eigenschaft das allgemeine Interesse geniessen. Sie werden meistens durch die Medien Fernsehen, Radio und Zeitungen bekannt.

Der Kommentar des Analysators: Die Definition PTR ist typisch unscharf. Als eine besondere Eigenschaft gilt hier zum Beispiel die deutliche Markierung durch das Geld, aber auch die Herkunft (siehe ‚Herkunft‘), eine besonders üble Tat, ausnahmsweise auch eine gute Tat oder gute Leistung. Der Grund für die Popularisierung der Prominenz durch die Medien muss dann bei jeder Kategorie verschieden sein. Bei den durch das Geld Markierten ist es gut verständlich: wahrscheinlich sollen sie allgemein bekannt sein, damit andere PTR’s vor ihnen gewarnt sind. Dies muss auch bei den Übeltätern der Fall sein. Der Grund, warum vor einer Herkunft gewarnt werden sollte, ist noch unbekannt.

Am verständlichsten wäre eine Markierung der PTR’s mit besonders positiven Eigenschaften oder Leistungen. Seltsamerweise bilden diese aber nur die Minderheit der Kategorie Prominenz.

Ein Vorschlag für die statistische Bedeutung des Wortes Prominenz: Die signifikanteste Eigenschaft der Prominenz ist ihre Bekanntheit durch die Medien. Andere Eigenschaften sind dabei zweitrangig. Die Wahl, welche PTR’s durch die Medien bekannt werden sollen, erfolgt wahrscheinlich durch einen Zufallsgenerator.

 

HERKUNFT (ABSTAMMUNG)

Definition von PTR: Herkunft ist die Liste der genetischen Vorgänger.

Der Befund des Analysators: Die Aussage von PTR stimmt bei Zuchttieren. Bei der Bewertung von Prominenz zum Beispiel wäre eine solche Angabe sinnlos, weil hier nur Herkunftseigenschaften hervorgehoben werden, die genetisch nicht übertragbar sind, wie durch das Geld markiert zu sein oder Machtfunktionen auszuüben. (Bei machtausübenden PTR’s mit Herkunft war in der Vergangenheit eine auffällig starke Korrelation mit Degenerationsmerkmalen zu verzeichnen. Die Hypothese, dass auch die Herkunftsangabe zur Warnung anderer PTR’s dient, ist dadurch weiter unterstützt. Analysator).

Ein Vorschlag für die statistische Bedeutung des Wortes Herkunft: Die Angabe ‚Herkunft‘ markiert PTR’s, die eine höhere soziale Stellung beanspruchen als ihren persönlichen Fähigkeiten entspricht.

Bisher wurden etwa zwanzig ähnliche Begriffe analysiert. Der Zweck einer so intensiven Beschäftigung mit dem Geld liess sich daraus vorläufig nicht ableiten. Anhand der Gesamtauswertung schlägt der Analysator die Hypothese vor, dass der Begriff Geld noch eine andere Markierung der PTR’s bezweckt als nur eine schwache Leistung. Angeblich sollen PTR’s das Geld anstreben, damit sie sich mit anderen PTR’s messen können. Die Idee, die Hälfte ihrer Kapazität für einen Vergleich anzuwenden, der doch faktisch keine Gültigkeit aufweist, finde ich aber absurd.

 

  1. Oktober 1989

Das war ein starkes Stück, der Film. Seit zwei Tagen geht er mir nicht aus dem Kopf. Mit manchen Szenen muss ich mich immer wieder auseinandersetzen. Die Arme hatte wirklich ein schweres Schicksal.

Immerhin verdrängte der Film aber meine Chimären mit Emerix – oder mindestens die Diskussionen mit ihm, obwohl ich mich wiederholt fragte, was er wohl zu einer solchen Geschichte meine. Wir haben bisher eher rationale Themen diskutiert, wer weiss, ob die Ausserirdischen emotionell besonders entwickelt oder umgekehrt ganz verkümmert sind?

Vor dem Einschlafen rätselte ich noch ein wenig über dieses Thema. Der in der Nacht folgende Traum brachte aber etwas Unerwartetes:

 

ksif12550.1

Armer PTR! Ich finde, er nimmt das Abhärtungstraining zu ernst. Insbesondere wenn es offensichtlich auch weniger anstrengende Übungsmöglichkeiten gäbe. Der Scanner meldet, Kinos entdeckt zu haben, die deutlich weniger brutal wirken, teilweise seien sie sogar erfrischend und ohne (? PTR’s Ausdruck unbekannt – evtl. Masochismus? Trsl.). Nach dieser Übung weinte aber seine Seele sehr traurig. Er fühlte intensiv mit dem leidenden Mädchen. In der Szene, als PTR’s einander grausam umbrachten, war PTR deutlich (? PTR’s Ausdruck unbekannt Trsl.).

Interessant war aber, dass sich PTR beim letzten Gespräch deutlicher ausdrückte. Entweder ist das die Folge der bisherigen Übungen, oder die PTR’s können über wirkliche Themen besser kommunizieren als über Maschinen oder Gewaltorganisationen. Ganz neu für mich war auch seine Fähigkeit, gemischte Wahrnehmungen auszudrücken, wie zum Beispiel sein (?  PTR’s Ausdruck unbekannt – Bereuen, Mitleid? Trsl.), zusammen mit (? PTR’s Ausdruck unbekannt Trsl.) und (? PTR’s Ausdruck unbekannt – sich für den anderen freuen, aber nicht, weil der andere etwas für den sich Freuenden tut, sondern weil der sich Freuende dem anderen etwas geben möchte? Trsl.)

Ich wurde selber (? PTR’s Ausdruck unbekannt Trsl.) und versuchte es PTR mitzuteilen. Es entstand eine sonderbare Stimmung, erfüllt von (? PTR’s Ausdruck unbekannt Trsl.), (? PTR’s Ausdruck unbekannt Trsl.) und einer von PTR deutlich mitgetragenen (? PTR’s Ausdruck unbekannt Trsl.). Anschliessend (?  PTR’s Ausdruck unbekannt Trsl.) …

 

ksif12550.1:01

Der Translator meldet, dass er meine lange Eintragung nicht übersetzen konnte. Als ich über (? PTR’s Ausdruck unbekannt Trsl.) mit PTR sprach, fehlten ihm so viele Ausdrücke aus der PTR’s Sprache, dass die Übersetzung zu keinem wahrnehmbaren Produkt führte. Das ist natürlich wieder ein Rätsel. Angeblich haben wir sämtliche Wörterbücher und Sprachunterlagen der PTR’s gespeichert, wieso fehlen nun gerade die wichtigsten Kommunikationsmittel? Sind sie vielleicht von PTR’s als besonders wertvoll gehütet und unzugänglich gemacht?

Das Rätsel wird noch undurchsichtiger. PTR spricht mit mir viel in der Tagebuch-Sprache, unsere Diskussionen sind dort oft, wenn auch sehr ungenau, wiedergegeben. Als ich seinen Eintrag zu unserem fast zwei Tage dauernden (?  PTR’s Ausdruck unbekannt Trsl.) anschaute, stand fast nichts drin! (Sein Eintrag mit der Bezeichnung „19. Oktober 1989“). Er schreibt sogar, er habe sich nur selber damit befasst, mit mir darüber aber nicht gesprochen.

Der Analysator brachte zu diesem Thema den überraschenden Befund, dass die PTR’s-Sprachen mehrheitlich Ausdrücke materieller Beobachtungen enthalten. Es gebe auch Abstraktionen, sie seien aber auch an rationalen Tatsachen orientiert. Und die niederschmetterndste Feststellung überhaupt: Die PTR’s-Sprache habe nur verschwindend kleine Ausdrucksmöglichkeiten für Gefühle, Emotionen, innere Wahrnehmungen, (? dieser und die folgenden Ausdrücke in der PTR’s-Sprache unbekannt Trsl.)… ! Wie können diese Wesen überhaupt leben?  Wieso erwecken sie auf den ersten Blick den Eindruck, die primitivsten Stufen der Entwicklung bereits absolviert zu haben? Sind sie denn wirklich so barbarisch und zurückgeblieben?

Bevor ich solch einen Verdacht entstehen lasse, muss ich mindestens versuchen, das zu klären.

 

  1.             Oktober 1989

Ich weiss nicht, was Emerix denkt. Natürlich haben wir Ausdrücke für Gefühle. Liebe zum Beispiel. Ein intensiver und dabei auch sehr poetischer Ausdruck. Freundschaft, Trauer, wenn es sein muss, dann auch Ärger oder Hass; wir drücken uns oft doch recht unmissverständlich aus!

Gut, ein bisschen hat er recht. Es gibt doch Nuancen, zum Beispiel beim Wort Liebe. Die Mutterliebe ist etwas anderes als etwa die erotische Liebe. Aber wir begnügen uns ja auch nicht immer nur mit einer Mitteilung „Ich liebe Dich“.

Ja, das ist es, meinte ich. Das ist doch genau das Schöne: wir Menschen können ein zartes Gefühl auf feine, nicht eindringliche Art umschreiben. Wenn ein Dichter die Liebe in einem Gedicht darstellt, kann er eine unaussprechliche Nuance der seelischen Regung einschliessen, etwas, das mit schlichten, groben Worten gar nicht möglich wäre.

Als Emerix das hörte, war er einen Moment lang still und antwortete dann mit sanftem Ausdruck: „Ach, die Gedicht-Sprache ist wirklich schön, die hätte ich zuerst lernen sollen.“ Bald wurde er aber wieder nüchtern und machte eine für ihn typische Bemerkung: Die Gedicht-Sprache werde nur von einem vernachlässigbar kleinen Anteil der Menschen angewandt, wie drückten sich denn alle anderen aus? Mit schlichten, groben Worten seien wirklich nur wenige der subtileren Gefühle mitzuteilen, wo sei denn unser Vokabular für die Gefühl-Sprache?

Interessant, das ist mir bisher gar nicht aufgefallen. Aus den mehreren hunderttausend Wörtern einer Sprache ist offensichtlich nur ein kleiner Anteil für die Emotionen bestimmt. Im Moment meinte ich sogar, dass es im täglichen Gebrauch kaum zwanzig sind, aber das täuscht sicher, bei sorgfältiger Untersuchung müsste man mehr finden. Aber trotzdem, sehr viel werden es tatsächlich nicht sein.

Eigentlich erwartete ich einen Vortrag zu diesem Thema, soweit kenne ich Emerix schon. Er steigerte sich aber, wie üblich, zu einer leidenschaftlich vorgetragenen Tirade. Die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten hängen, gemäss seiner Theorie, mit dem Entwicklungsstand zusammen. Ein Mensch aus dem Mittelalter habe nicht über eine Dampfmaschine sprechen können, weil es keine solche und darum auch kein Wort dafür gab. Als man aber die Maschine erfunden habe, seien fast gleichzeitig neue Sprachausdrücke aufgekommen, die sie, ihre Bestandteile, ihre Funktion, Bedienung etc. beschrieben. Jemand, der sich speziell mit einer Sache oder Tätigkeit befasste, habe dann noch mehr Ausdrucksmöglichkeiten beherrscht und dazu vielleicht noch weitere Verständigungswege entwickelt, neue Worte, neue Zeichnungstechniken oder Formeln. Wenn wir über so wenig Mitteilungsmöglichkeiten für unsere Gefühle verfügten, dann müssten wir diesbezüglich unterentwickelt sein.

Das fand ich nicht gerecht und versuchte ihm zu erklären, dass wir ja auch Nuancen aussprechen könnten, indem wir sie eben in mehreren Sätzen ausdrückten, auch wenn die nur aus einer beschränkten Auswahl Worte beständen. Dann fragte er ironisch, ob wir den Stand unserer Technik erreicht hätten, wenn wir zum Beispiel für die Bereiche der Energie, des Transports, und der Antriebstechnik nur ein einziges Wort, ‚Motor‘ gekannt hätten. Für ihn sei Liebe etwas unvergleichlich Reicheres und Vielseitigeres als ein Motor, wir verfügten aber nur über ein Wort dafür, für die Motorenkunde jedoch über dicke Wörterbücher.

Etwas eingeschüchtert, versuchte ich es noch mit dem Argument, Worte entstünden meistens spontan, ich könne doch nicht einfach eine Buchstabenkombination erfinden und sie als neues Wort deklarieren. Immer noch gleich vehement wie vorher begann er mir zu erklären, wenn man sich mit etwas wiederholt befasse, kämen die neuen Ausdrücke von selbst.

Als er das sagte, veränderte sich etwas in seiner Erscheinung, er wirkte zusehends sanfter und freundlicher. Er sagte, in unserer Sprache gebe es nur die Worte Liebe und Freundschaft. In seiner Sprache gebe es jedoch einen unermesslich grossen Vorrat an Worten für alle Bereiche der zwischenmenschlichen Beziehungen, Gefühle, Emotionen etc. Zum Beispiel hätten sie einen bestimmten Ausdruck dafür, wenn jemand einem anderen etwa folgendes Gefühl mitteilen wolle: Er habe den anderen gern, zwar nicht im Sinne von Verliebtheit und nicht darum, weil er von ihm etwas erwarte; er sei von ihm nicht abhängig wie ein Kind von den Eltern, fühle sich auch nicht als Freund im Sinne eines Bekannten oder Menschen mit gleichen Interessen. Stattdessen empfinde er für ihn eine Zuneigung und Liebe, weil ihm seine Anwesenheit angenehm sei, er sich freue den anderen zu treffen, etwas Schönes für ihn tun wolle, aber auch nicht zögern würde, ihn auf eventuelle Unzulänglichkeiten hinzuweisen. Das Wort in seiner Sprache brauche zwar eine noch längere Übersetzung, er wisse aber, dass wir bereits für diese Mitteilung keine Bezeichnung hätten. Wenn aber zwei Menschen sich öfters über solche Themen unterhielten, würden sie diese lange Umschreibung früher oder später mit einem neuen Ausdruck abkürzen, zum Beispiel mit ‚Ich freundliebe Dich‘. Ich solle nicht lachen, ein neues Wort töne oft komisch; schliesslich musste zum Beispiel derjenige, welcher das Wort ‚Kurbelwellegehäuse‘ erfand und zum ersten Mal aussprach, sogar erröten.

Kurz gesagt, Emerix meinte, dass es genügt, wenn wir uns mit unseren inneren Wahrnehmungen und Gefühlen ausreichend beschäftigten; die Sprache käme dann von selbst.

Im Moment wusste ich keine Argumente mehr. Ich dachte, dass ich das ganze Thema noch einmal überdenken sollte. Ich war auch ein bisschen unter dem Einfluss seiner veränderten, freundlicheren Haltung. Es fiel mir etwas ein, worüber ich leicht lächeln musste. Ich wusste kein Wort dafür, wenn ich ‚mit jemandem gerne diskutiere, auch wenn ich nicht immer gleicher Meinung bin, seine Offenheit aber schätze, viel Interessantes in seinen Ausführungen finde, und seine Anwesenheit als angenehm wahrnehme‘. Vielleicht ‚Ich sprechgeniesse mit Dir?‘

 

ksif12550.9

Ich glaube, die PTR’s sind in ihrem Inneren nicht barbarisch. Dass sie über das Wichtigste, was ihr Leben bietet, kaum sprechen können, ist aber traurig. Die Ursache dafür ist noch nicht klar. PTR sagte, wenn sie eine neue Sprache erlernten, könnten sie die Kenntnisse einer anderen beherrschten Sprache verlieren. Der Analysator teilte mit, dass kleine PTR’s mehr potentielle Fähigkeiten zur Gefühls-Sprache besitzen als die Erwachsenen. Bekanntlich werden sie jedoch bereits im frühen Alter mit vielen anderen Sprachen zwangsgefüttert, insbesondere aus den sogenannten rationellen Gebieten wie Technik und Maschinen. Dadurch wird natürlich die Gefühls-Sprache weitgehend verdrängt. Vielleicht läge für die PTR’s in dieser Erkenntnis ein Ausweg.

 

Es fällt mir schwer, dass ich nun die Kontakte mit PTR nicht so intensiv pflegen kann wie bisher, aber ich möchte auch noch viele Gespräche mit anderen PTR’s führen. Ich hoffe, dass „mein PTR“ bei unserem letzten Treffen meinen Versuch, mich in die Gewohnheiten der PTR’s einzufühlen, begriffen hat. Die PTR’s drücken sich manchmal indirekt aus. Interessanterweise tun sie es oft sogar bei Themen, die ihnen recht wichtig sind. Beispielsweise wenn sie jemanden mögen, oder umgekehrt, wenn ihnen am anderen etwas nicht gefällt. Deshalb versuchte ich ihm bei der scheinbar unbeteiligten Darlegung von Möglichkeiten, ein neues Wort zu kreieren, zu sagen, wie sehr ich die Kontakte mit ihm liebte, wie gerne ich mit ihm sprachgenoss und wie (? PTR’s Ausdruck unbekannt Trsl.). Ich hoffe, er verstand es.

  1. Oktober 1989

Bis heute kann ich nicht entscheiden, ob sich die Geschichte mit Emerix nur in meiner Phantasie abspielt oder ob ich tatsächlich in Kontakt mit einem anderen Wesen bin. Auf jeden Fall wurde es zu meiner Gewohnheit, verschiedene Tatsachen in meinem Leben, die ich bisher für ‚unangefochtene Selbstverständlichkeiten‘ hielt, so anzuschauen, als ob sie für mich völlig neu wären. Es ist ein faszinierendes Spiel, wenn auch nicht immer ein leichtes oder angenehmes. Manchmal gebe ich mich nicht damit zufrieden und versuche auch noch die Gründe für diese ’nicht bewiesenen Selbstverständlichkeiten‘, wie ich sie für mich nenne, unvoreingenommen, aber kritisch zu überprüfen, so etwa, wie es Emerix immer tat (oder noch tut, wenn er es doch ist, der sie mir in den Kopf legt).

Falls Du es also, Emerix, warst und bist, möchte ich mich bei Dir bedanken; Deine Denkweise half mir einige ‚falsche Selbstverständlichkeiten‘ zu erkennen. Ich möchte Dich auch gerne wieder einmal treffen; ich habe es noch nicht aufgegeben, Dir zu zeigen, dass wir Menschen uns in einiger Hinsicht in der positiven Richtung entwickeln.

Noch etwas möchte ich Dir, lieber Emerix, sagen: Ich freundliebe Dich auch!

(2007)