Ich bin schön, ich bin stark, ich bin weise, ich bin gut.
Und ich habe das alles selbst erfunden! S. J. Lec

Wir Männer sehen die Welt durch „männliche“ Brillen. Hervorgehoben werden dadurch unsere imponierenden Eigenschaften als starke, dominante, rivalisierende Eroberer, Sieger oder sonstige Erfolgswunder. Wir konkurrieren, kämpfen, und intrigieren, um die Gunst des schönen Geschlechts zu gewinnen. Diese Sicht projizieren wir sogar in scheinbar neutrale wissenschaftliche Erkenntnisse. Ein Beispiel ist die allgemein verbreitete männliche Auslegung der Evolutionslehre.

Diese sieht etwa so aus: Als Folge von Mutation variieren in der Natur Grösse, Stärke und andere Merkmale der Männchen. Die Selektion findet durch den Kampf der Rivalen statt, weil die Sieger mehr Nachkommen zeugen. Dies ist ein Bild der Selektion aus typisch männlicher Sicht. Der Hirsch mit dem grössten Geweih röhrt und kämpft am besten, weshalb er in der Selektion bevorzugt wird.

Die Realität ist differenzierter. Der Hirsch hat durch den Sieg über seinen Rivalen noch kein einziges Gen weitergegeben, er hat bloss seine Chance erhöht, von den Hirschkühen erwählt zu werden. Die Wahl – und somit die Selektion – treffen die Hirschkühe. Allerdings praktizieren die Weibchen vieler Spezies die Strategie, den kämpferischen Siegertyp zu wählen. Ihre Reflexe sind so programmiert, und das macht auch Sinn. Wenn der Freier laut brüllt und wild kämpft, dann ist er wahrscheinlich gesund – gut für die Kinder!

Diese Reflexe können aber auch erstaunlich ungünstig programmiert sein. Ein Beispiel von vielen ist der Pfau. Seine «Schleppe» ist aus menschlicher Sicht ein wunderschönes Kunstwerk – aus der Sicht der Pfauen-Damen offensichtlich auch. Denn seit Millionen von Generationen haben sie die Playboys mit den längsten Schweifen erwählt und dadurch – wohl ohne rationales Denken – die heutige Form gezüchtet. Aus männlicher Sicht ist der Hahn  mit dem längsten Schwanz der Beste, er siegt im Wettbewerb der Rivalen und lenkt dadurch die Evolution aktiv zu seinen Gunsten. Aus der Sicht der Evolution mit der Regel „der Fitteste soll sich vermehren“ ist der Pfau-Hahn eine Missbildung. Aus der Sicht der Raubtiere ist er eine willkommene bequeme Beute.

Hirsch und Pfau sind relativ einfache Geschöpfe mit wenig Intelligenz. Wie sehen unsere engsten Vorfahren, die Schimpansen, durch die Männerbrille aus? Auf den ersten Blick stimmt alles. Sie sind intelligent, erfinderisch, können Werkzeuge herstellen und auf anspruchsvolle Art kommunizieren. Die Männchen rivalisieren, kämpfen und bilden «politische» Parteien. Im Gegensatz zu den Hirschen, die nur etwa eine Woche im Jahr brunftig sind und amoklaufen, fragen Schimpansen-Männchen pausenlos den Zauberspiegel: „Wer ist der Stärkste im Land?“ Für die Fortpflanzung müssen sie aber auch auf die Gunst der Weibchen warten. Die Männchen mit dem stärksten Schrei- und Beissvermögen haben dabei grössere Chancen, da sie für die Weibchen attraktiv und gesund aussehen. Aus der Sicht der Evolution müsste man aber doch fragen: »Liebe Weibchen, könnte es so etwas wie zu viel des männlich Guten geben? Könnten die schönsten, begehrenswertesten Exemplare, stark, gesund und besonders kämpferisch, auch gefährlich werden?»

Die Antwort ist ja. Schimpansen gehören zu der aggressivsten Tierart. Sie töten Nachkommen der eigenen Gruppe, führen Kriege mit anderen Gruppen, organisieren „Killer-Kommandos“ zum Töten von einzelnen „Fremdlingen“, herrschen in der Form einer blutigen Diktatur etc. Neuere Beobachtungen der Schimpansen in freier Natur liefern eine Horrorstory nach der anderen. Dieser Aggressionswahn ist jedoch aus der Sicht der Arterhaltung kontraproduktiv. Ein Weibchen zum Beispiel entfernte sich etwas von der Gruppe, weil angriffslustige Männchen ihr Baby bedrohten. Die Affenmutter emigrierte nicht „illegal “, wie es in heutigen Diktaturen bewertet würde, entzog sich aber vorübergehend der totalitären Dauerkontrolle des Machthabers und beging damit eine „politische Straftat“. Der „Generalissimus“ trommelte sein „Politbüro“ zusammen, eine Gruppe der stärksten Männchen griff das Weibchen auf seinen Befehl an und tötete es beinahe. Dabei könnte es die Mutter seiner künftigen Kinder sein, und das Baby war wahrscheinlich sein Kind. Einen solchen Widersinn kann sich die Evolution, deren oberstes Ziel „das Leben erhalten“ ist, nicht oft leisten.

Dass die Gattung Schimpanse heute noch existiert, liegt wahrscheinlich im Mangel an wirksamen Todeswaffen. Die Schimpansen haben weder das Gebiss der Raubtiere noch die Kraft eines Bären oder das Gift der Schlange. In einem zweiten (und letzten) Beispiel dieser Art beschreiben Forscher, wie Gruppen von fünf bis acht Männchen (es war ab und zu auch ein Weibchen dabei) einen einzelnen „Feind“ überfielen und zwanzig Minuten lang (!) versuchten ihn zu töten. Das Opfer war dann in der Regel schwer verletzt, aber nicht tot. Es ist schwer den Gedanken zu unterdrücken, was passierte, wenn die Schimpansen auch lernten, Waffen zu gebrauchen. Würden sie mit Schwertern oder sogar Schusswaffen ausgestattet, wäre wohl sehr schnell keiner mehr zum Kämpfen übrig.

Zu dieser düsteren Geschichte gibt es eine kontrastierende Sensation: die Bonobos. In einem durch den Fluss Kongo isolierten Habitat haben sich die Schimpansen während zwei Millionen Jahren zu einer neuen Art entwickelt. Sie leben friedlich, ohne Genozid; treffen sich zwei Gruppen, so paaren sie sich mit den Fremden, statt mit ihnen zu kämpfen. Aus der strikten Männersicht sind ihre Männchen Pantoffelhelden. Aus der Sicht der Weibchen ist alles bestens in Ordnung, denn sie haben das Sagen. Den Männchen geht es dabei auch recht gut, sie dürfen bloss ihre gefährlich aggressiven Spiele nicht austragen. Aus unserer heutigen Sicht ist es schade, dass wir nicht von Bonobos abstammen.

Als Homo Sapiens betraten wir die Weltbühne nach Abermillionen Jahren Zucht der Männchen durch Weibchen als brüllende, beissende, Rivalen tötende Nachkömmlinge eines Affenkönigs. Solche Exemplare standen sicher auch hoch oben auf der Wunschliste der Steinzeitfrauen und wurden entsprechend öfters erwählt. Diese unwiderstehlichen aggressiven Muskelprotze waren evident gesund und brachten öfters ein Mammut zum Frühstück, auch dies war gut für die Kinder, mindestens so lange wir noch Sammler und Jäger waren.

Nun ist es aber höchste Zeit zu betonen, dass diese trocken rationalistische Beschreibung der Partnerwahl keineswegs das heilige Wunder des Verliebens von zwei Menschen ausser Acht lassen möchte. Zum Beschreiben dieses Wunders wären aber eher Gedichte geeignet. Trotzdem: auch ein Wunder einer Blume wächst auf einem Boden. Ein harter, oder sogar mit falschem Mist vergifteter Boden könnte die Blüten verderben. Dazu kommen wir nochmals später.

Die bejubelte Entwicklung des prähistorischen Menschen vom Sammler zum Bauern hat alles auf den Kopf gestellt. Aus der Sicht der Frauen bietet neu ein Jammerlappen mit einem Stück Land und einer Kuh eine sicherere Lebensgrundlage als ein Herkules ohne garantiertes Jagdglück, und einer mit viel Land und vielen Kühen bot noch mehr Sicherheit. Aus der Sicht der Männer ist der Wandel jedoch negativ: Wir „Mannsbilder“ vermehren uns seitdem nicht schneller als unsere Rivalen. Die Brille der Verherrlichung von uns Männern als siegreichen Haudegen bekam einen Riss.

Aber nicht für lange. Für alle überholten Beweise der Männlichkeit wie Geweih, Schweif, Brüllen, handfesten Kampf haben wir in evolutions-historisch kurzer Zeit mehr als nur einen Ersatz entwickelt: politische und militärische Führung, wirtschaftliche und finanzielle Macht, Hierarchie und Hackordnung in Firmen und Konzernen, in Armee und Staat – ob Diktatur oder Demokratie, Statussymbole wie Autos, Villen, Bankkonti, Yachten und sogar eigene Inseln etc. Alle diese Attribute der geschickten „Übermännchen“ lassen sich viel einfacher erreichen als laute Hälse, strotzende Bizepse oder scharfe Beisszähne. Wir „schreien“ mit (oft falscher) politischer Propaganda und Reklame, rivalisieren im endlosen Konkurrenzkampf aller gegen alle, siegen durch raffinierte Finanztricks und verkaufen Waffen an psychisch labile mordgierige Schimpansen. Denn diese unbewussten Reflexe wurden während Abermillionen Jahren tief in unser Erbgut und unsere Verhaltensmuster eingebrannt.

Wie reagieren Frauen auf die neue Maskerade? Leider haben sie ähnliche eingebrannte Reflexe wie wir Männer. Auch heute wirkt ein Ur-Muskelmonster unwiderstehlich, wenn pubertierende Mädchen beliebigen Alters beim Autogramm eines Kinostars vom Typ Tarzan in Ohnmacht fallen. Auch die etwas älteren Aschenbrödel träumen noch von einem Prinzen. (In diesem konkreten Beispiel hat die Evolution ganz versagt. Der Prinz hatte zwar unzählige „Land und Kuh“ Symbole, wie Kronen und Schlösser, dafür aber möglicherweise degenerierte DNA). Noch immer machen die neuen «Übermännchen-Stärken» Eindruck auf heutige Frauen.

Zum Glück nur bis zu einem gewissen Grad, denn hier kommt das Verlieben ins Spiel, ein Wunder, das neben den uralten Reflexen die Partnerwahl bestimmt. „Liebe blüht in jedem Alter“, singt ein Held in Tschaikowskys Oper. Sie blüht aber auch in allen Schichten unserer komplizierten Gesellschaft, zunehmend quer über alle Statusgrenzen und ohne das Gift der schädlichen Rivalität. Wir Männer, weiterhin erwählt von Euch, Ihr modernen Frauen, kommen auf dem Fahrrad statt im Rolls Royce zum Rendez-vous und erobern trotzdem Eure Herzen. (Da trübt schon wieder diese Männerbrille des Eroberns die Sicht! Wir korrigieren: Wir fahren auf dem Velo zum Date, und unsere Herzen entdecken das Wunder der Liebe!)

Doch genügt das Wunder der Liebe, um die Menschheit vor der Selbstzerstörung zu retten? Leider nicht ganz. Viele von uns Männern sind noch in den Klauen unserer fossilen Männchen-Triebe gefangen, einige sogar in deren primitivster Form wie Töten oder den Tod anderer Menschen durch Egoismus zu verursachen. Zudem durchdringt die Rivalität immer noch unser Alltagsleben, was wir – umso schlimmer – meist nicht einmal bewusst wahrnehmen.

Der Hirsch ist der Wirkung seiner Hormone machtlos ausgeliefert. Wir sind zwar auch von psychisch wirksamen Verhaltensmustern angetrieben, können uns aber gegen ihre maligne Wirkung wehren. Es gibt inzwischen unzählige philosophische, theologische, soziologische und pädagogische Anleitungen von Männern und Frauen, wie wir unsere uralten Reflexe bekämpfen oder gar ausschalten könnten. Hoffentlich werden sie auch gelesen und vor allem befolgt. …

Einen entscheidenden Einfluss könntet aber Ihr, liebe Frauen auf uns Männer ausüben. Grundlegend für unser blödes Männchen-Gehabe ist doch der Wunsch, Euch zu imponieren oder den anderen Männchen wenigstens vorzugaukeln, dass wir Euch imponieren. Doch haben wir auch recht viele andere Seiten. Wir sind ein Instrument mit vielen Saiten und resonieren je nachdem, welche Saite ihr zupft. Mit Eurem berühmten Sinn für feine Diplomatie könntet Ihr uns Zeichen geben, welche Töne besser bei Euch ankommen. Eure Hilfe benötigt keine heroische Tat wie einen Sieg über den Drachen, sondern eher die stetige Wirkung einer rivalitätsfreien Atmosphäre. Fangt damit bei Euren Kindern an! Sie dürften aus Freude und Interesse lernen, statt um bessere Noten zu kämpfen, damit sie „es später weiterbringen“. Der Sohn könnte z. B.  ein glücklicher Gärtner werden, statt eines gestressten Direktors, oder er dürfte sein Traumfach Archäologie studieren, obwohl alle seine Kollegen ein Studium in Management oder Wirtschaft wählen, um einen höheren Lohn zu bekommen. Auch bei Ihrem Herzallerliebsten könnten Sie andere Saiten klingen lassen: Würde er nicht strahlen, wenn Sie die von ihm gepflanzten Gartenblumen bewundern, statt ihn Ihren Neid auf das neue Schwimmbad der Nachbarn spüren zu lassen?

Liebe Frauen, bitte helft uns Männern, das von der Evolution geprägte Kampf-, Rivalitäts- und Imponiergehabe zu überwinden und damit unser aller Zukunft zu retten!