…und schafft euch ein neues Herz und einen neuen Geist!
Ezechiel (18.31)
Die Welt entwickelt sich nach einem zielorientierten Plan (Teleologie). Das gehört für die meisten gläubigen Menschen zu den wesentlichen Grundsteinen ihrer Religion. Gott hat die Welt nach seiner Vorstellung erschaffen und verfolgt durch planmässiges Wirken ein Ziel. Eine der wichtigsten beobachtbaren Eigenschaften seiner Welt inklusive aller Lebensformen ist die Fähigkeit und Tendenz sich zu entwickeln. Dies ist offensichtlich ein Teil der Planung Gottes.
Gegner teleologischer Vorstellungen lehnen solche Ideen ab, weil sie nicht wissenschaftlich bewiesen werden können. Allerdings können sie wissenschaftlich auch nicht widerlegt werden.
Eines haben alle bisherigen teleologischen Konzepte gemeinsam: Die Dinge, die sich entwickeln, sind selber nicht die Planer. Galaxien, Blumen oder das menschliche Gehirn wurden nicht durch die Blume oder durch das Gehirn lange voraus als Ziel geplant und sukzessive gestaltet. Es bedarf einer externen Kraft oder einer „Urfähigkeit“, die entweder dauernd plant und steuert oder „am Anfang“ den Plan im Kosmos implantiert hat.
Der Mensch stellt in dem uns bekannten Universum eine besondere Ausnahme dar. Durch Gottes Plan wurde er geformt zu einem Wesen mit sonst nirgendwo existierenden Fähigkeiten: kognitives und abstraktes Denken, Bewusstsein, Sprache, Schrift, Entdecken von Naturgesetzen, Aufstellen und Realisieren von Plänen etc. Dank dieser Fähigkeiten hat der Mensch begonnen eine aktive Rolle in der Entwicklung der Welt zu spielen.
Auch das war offensichtlich von Gott vorgesehen. Diese besondere Stellung der Menschen ist in der Bibel mehrfach betont. Zudem werden wir von Gott auch dazu aufgefordert, unser Potenzial zu nutzen. Wer „Talente“ besitzt, soll sie auch gebrauchen.
Könnte es sein, dass Gott für die Realisierung seiner Entwicklungspläne auch den Menschen, der ja zu seinem Ebenbilde geschaffen wurde, einsetzt? Und haben wir die wunderbaren Geschenke Gottes für eine zielorientierte, planmässige Weiterentwicklung von uns selbst auch angewandt?
Kaum. Die unübersehbaren Erfolge unserer neuartigen Fähigkeiten haben wir vor allem in der aktiven Veränderung unserer Umwelt erreicht. Wir haben die Natur weitgehend unter unsere Kontrolle gebracht und haben uns eine neue, selbst generierte Welt aufgebaut. Nahrung können wir mit einem sehr geringen Aufwand herstellen. Die moderne Medizin schützt uns vor vielen Krankheiten und verlängert unsere Lebenserwartung. Theoretisch könnten wir entspannt, in Bequemlichkeit und mit viel Freizeit leben.
Die Realität ist weit davon entfernt, wie unsere Geschichtsbücher und tägliche Nachrichten beweisen. Es sterben Millionen Menschen durch Kriege, Genozid, Hunger oder Mangel an einfachster medizinischer Betreuung. Das tägliche Leben ist nur für die wenigsten entspannt und mit Freizeitbeschäftigungen gefüllt.
Die Ursache dazu liegt also offensichtlich nicht in unseren mangelnden technischen Fähigkeiten, sondern in ungenügender Weisheit, mit den Folgen der gewonnenen „Talente“, wie zum Beispiel dem kognitiven Denken, umzugehen.
Hier drängt sich ein Gedanke über das Entstehen und Deuten der Bibel auf. Wir wissen, dass sie während Jahrtausenden erzählt, geschrieben und gedeutet wurde. Sind es bloss Geschichten, erdacht und weitergegeben von Menschen? Wohl von für die damalige Zeit weisen Menschen? Oder geschah etwas Besonderes? Eine göttliche Eingebung, eine Nachricht mit einem Inhalt, den unsere Vorfahren damals nicht vollständig verstehen konnten? Und vielleicht können wir es auch heute nicht vollständig verstehen, immerhin aber besser als damals.
Zum Beispiel die Geschichte über den Baum der Erkenntnis. Erkenntnistheoretische Überlegungen vor viertausend Jahren? Damals ohne Vorkenntnisse und entsprechendes Vokabular? Mit damaligen Ausdrucksmöglichkeiten wie Bäume, Früchte, essen oder nicht essen aber eigentlich recht geschickt verständlich umschrieben. Könnten wir mit der Kenntnis des damaligen „Horizonts“ der Bibelschreiber versuchen, wie wir heute die erhaltene Botschaft formulieren würden?
Hier eine Möglichkeit: Gott warnte die Menschen nicht vor der Erkenntnis selbst. Adam sollte ja alle Tiere benennen, was ein Erkennen, in moderner Sprache Erforschen, bedeutet. Er warnte aber vor den Früchten der Erkenntnis. Also vor bestimmten Produkten oder Folgen des Denkens. An diesen könnten wir sterben. Die Früchte selbst sind nicht unreif oder giftig. Der Mensch damals war aber noch nicht reif für sie. Und das sind wir heute immer noch nicht. Nicht Gott bestraft uns, sondern wir bestrafen uns für das unüberlegte, willkürliche Geniessen der Früchte, für die wir noch nicht reif sind. Und wir können daran sterben. Wir konsumieren gedankenlos jede Befriedigung, die uns unser kognitives Denken ermöglicht. Inklusive aller Formen der „fossilen“ Wünsche wie Status, Stellung in der Sippe, Erfolg in Rivalitätskämpfen etc. Der unweise Verzehr von Früchten der Erkenntnis führt übrigens auch zu dem vorausgesagten Konflikt zwischen Gut und Böse.
Konkret widmen wir uns mit unseren inzwischen unheimlich effizienten Fähigkeiten vorwiegend der Entwicklung unserer selbstgemachten Welt: Wissenschaft, Wirtschaft, Technik, Kommoditäten, Transport, Waffen, technische Kommunikationsmittel etc. Wir haben aber versäumt uns selber zu entwickeln. Wir haben nicht einmal begonnen uns dafür die richtigen Ziele zu setzen und sie zu planen.
Dabei finden wir in der Bibel deutliche Anweisungen Gottes dazu. Gott beauftragt Ezechiel dem Volk Nachricht zu überbringen. Diese fängt wiederholt mit einem „Du Mensch…“ im Sinne „Du Menschheit…“ an. Gott sieht die Fehler, welche die Menschheit macht. In Ezechiels Bericht werden sie als „Abscheulichkeiten“ beschrieben. (Es fällt auf, dass viele dieser „Abscheulichkeiten“ auch in der heutigen Welt begangen werden, einige aber toleriert oder sogar angepriesen werden).
Ezechiel formuliert es in Gottes Auftrag so: „Werft all eure Vergehen von euch, mit denen ihr euch vergangen habt, und schafft euch ein neues Herz und einen neuen Geist!“ (Ezechiel 18.31). Der Befehl „Schafft Euch!“ bedeutet, dass die Initiative und die Durchführung aktiv von der Menschheit übernommen werden muss. „Neues Herz und neuer Geist“ ist ein wunderschönes Gleichnis für Wesen, die „Abscheulichkeiten“ nicht begehen. Und sie begehen sie nicht darum, weil es verboten ist, sondern weil ihr Herz und Geist nicht danach begehrt.
Wir sind heute offensichtlich bereits in der Lage dies zu tun. Uns stehen Kenntnisse neuer Disziplinen wie Theologie, Psychologie, Pädagogik, Philosophie, Ethik etc. zur Verfügung. Wir können, zuerst vielleicht in kleineren Schritten, Ziele für uns selber und unsere Umgebung entwerfen, ihre Realisierung mit Berücksichtigung aller potenziellen Nebenwirkungen planen und durchführen. Wir können Gottes Plan mit eigenen Kräften unterstützen. Wir können als eigene Planer eine Teleologie realisieren: die Autokreative Teleologie. Die Menschheit kann sich ein hohes Ziel setzen, die Entwicklung ihrer Umgebung und ihrer selbst in die eigenen Hände nehmen und dadurch ihre Zukunft sichern. Das wäre gleichzeitig die grösste Revolution in unserer Geschichte.
Wenn wir, stolz auf unsere Fähigkeit schwierige Probleme zu lösen und eine neue Welt zu kreieren, auch diese schwierigste Aufgabe anpacken, nämlich uns selbst und unsere selbstgemachte Umgebung bewusst planmässig entwickeln, wird sich die Menschheit selber aus der heutigen Problematik in eine würdige Zukunft hochziehen. Der erste Schritt dazu ist die Notwendigkeit einer solchen Revolution einzusehen, ihre Realisierbarkeit zu erkennen und die Begeisterung dafür zu wecken.
Das mag vielleicht überzeugend tönen, es fällt aber den meisten von uns schwer, sich den Anfang konkret vorzustellen. Die „Abscheulichkeiten“ unserer modernen Welt spielen sich scheinbar weit ausserhalb der Reichweite eines einzelnen Menschen ab. Eine Terrorgruppe oder einen Diktator von den Missetaten abzuhalten oder sie zu friedfertigen Wesen zu verändern scheint etwa gleich schwierig zu sein wie Berge zu versetzen. Ebenfalls können wir zwar den Hungernden Spenden schicken, bekanntlich ist das aber keine echte, dauerhafte Lösung. Ausserdem handelt es sich meistens nicht nur um einzelne „Sünder“, sondern um grosse, komplexe Organisationen, die dahinter stehen.
Vielleicht kommen wir nochmals auf Adam und die Früchte der Erkenntnis zurück. Die Schlange verführt den Menschen dazu, sich der Früchte der Erkenntnis frei zu bedienen. Sie prophezeit aber auch eine Folge davon: «Ihr werdet Gut und Böse erkennen».
Die Kategorien Gut und Böse sind zwar das wichtigste Thema der Menschheit, die Zuordnung von konkreten Handlungen in die eine oder andere Kategorie ist aber oft subjektiv, dazu auch lokal oder zeitlich veränderlich. Etwas einfacher wären die Begriffe altruistisch und egoistisch.
Diese existieren in der von Gott kreierten Natur bereits bei vielen Tierarten. Schimpansen-Männchen versuchen den „aktuellen König“ umzubringen, töten seine kleinen Nachkommen und organisieren Killerkommandos gegen Mitglieder anderer Gruppen. Sie teilen aber gefundene oder erbeutete Nahrung untereinander. Ein hungriger „Feind“ wird also altruistisch von seinem Kontrahenten vor dem Verhungern gerettet.
In der Bibel finden wir zahlreiche weitere Berichte über dieses ewige Thema. Leider sind es vorwiegend egoistische Handlungen. Bereits in der zweiten Generation tötet Kain den Abel und später betrügt Jakob den Bruder und den Vater. Auffallend ist hier wie kleinlich die Gründe für solche Taten waren. Und einiges gilt bereits für die ganze damalige Gesellschaft. Es herrscht Macht- und Geldgier, Eifersucht, Neid und Schwindel. Die Rangordnung ist auch bereits etabliert, es gibt Könige, Herrscher, Diener und Sklaven.
Wenige Seiten weiter in der Bibel sind wir bei Moses und Pharao. Letzterer hält das ganze Volk als Sklaven und zwingt es zu schwerer Arbeit. Die auffallend lange Geschichte über Plagen, die den Pharao davon abhalten sollen, ist – ausser anderen – ein detaillierter Bericht über seine psychische Struktur. Sein Machtdrang überflutet sein Denken. Er ist einfach nicht in der Lage, den Kampf aufzugeben – auch wenn ihm selbst bewusst sein müsste, dass er keine Chance hat. Nebenbei ist noch zu bemerken, dass das Volk die Folgen des Kampfes trägt.
Machen wir einen Sprung um ein paar Tausend Jahre ins Neue Testament in die Geschichte von den Talenten. Diese wird allgemein verstanden als eine Anweisung fleissig zu sein. Sie enthält aber auch die akkurate Beschreibung eines machtsüchtigen Herrschers und der Methoden, wie er die Diener zu seinen Zwecken dressiert. (sh. den Text „Talente, wofür?“ in diesem Blog).
Vor allem fällt auf, dass diese Charakterisierung auch genau auf viele heutige Herrscher passt. Noch schlimmer: Auch die Beschreibung der damaligen Diener passt auf uns heutige moderne Menschen.
Die Bibel warnt. Zeigt sie auch eine Lösung? Ja! Viele Menschen kooperieren bei fraglichen und durchaus falschen Unterfangen, sind aber nicht in der Lage dies zu erkennen und ihr Verhalten zu ändern. Ein wunderschönes Beispiel dazu ist die Geschichte von Paulus. (Text „Saulus, warum?“)
Sie fängt an mit dem Menschen Saulus. Er ist böse und verfolgt Christen. Der liebe Gott hilft ihm, sich selber zu erkennen und sich anschliessend zu ändern. Saulus, der blinde Anhänger des Hohepriesters entwickelt sich zum Paulus, der sich mit grossem Elan für eine bessere Welt einsetzt.
Und das ist die gute Nachricht, eines der vielen Zeichen, dass die autokreative Teleologie bereits angefangen hat. Saulus braucht noch einen „Impuls“ von Jesus in der Form einer Frage: „Saulus, warum…?“. Um diese Frage zu beantworten, muss Saulus denken. Er muss tiefer in seiner eigenen Seele, in seiner Denkart, in seinen Empfindungen graben. Dann ist es nicht schwer, den Götzen zu erkennen hinter dem Plan von Verfolgung und Tötung Andersglaubender. Der neu entstandene Paulus ist um einen grossen Schritt weiter in der Richtung einer Menschheit, die zu Gottes Ebenbilde vorgesehen ist. Seine Verwandlung ist «autokreativ».
Enthält diese Bibelgeschichte auch eine aktuelle Lehre? Es gibt heute nicht nur einen, sondern viele „Hohepriester“, die eifrig von unzähligen heutigen „Saulus“ bedient werden. Es gibt heute viel mehr Menschen, die gefesselt und getötet werden als damals. Dazu kommen alle, die an Hunger oder leicht heilbaren Krankheiten sterben, während andere im Überfluss und Luxus leben.
Unsere moderne Welt ist, verglichen mit der Geschichte von Paulus, komplizierter. Die Kette «Hohepriester – Saulus – Truppe Soldaten – verfolgte Christen» ist heute viel länger und viel schwieriger in die tägliche Realität zu übertragen. Wenn aber die Anzahl unnötig leidender und sterbender Menschen reduziert werden soll, bleibt nichts anderes übrig als dass jeder von uns das Wunder der Selbsterkenntnis und der Selbstentwicklung bei sich wirken lässt:
„Warum begehe auch ich Taten, die zwar in unserem System legal sind, schlussendlich aber doch dazu beitragen können, dass andere Menschen leiden und sterben? Gott, lass mich bitte immer wieder Dein «Warum» hören und hilf mir die richtige Antwort zu finden, wie Du auch Saulus geholfen hast.“
Sind wir auf der Suche, wie man Berge versetzen kann, einen Schritt weiter gekommen?
Zugegeben, bei den Anführern der Terrorgruppen, egoistischen Diktatoren oder verantwortungslosen Finanz-Moguln kaum. Sie selber können aber keine einzige Waffe herstellen oder das Korn, das hungernde Menschen geerntet haben, an einen mehr zahlenden Kunden verkaufen. Sie brauchen einen grossen, komplexen Apparat, den wir bedienen – auch wir, die eine bessere Welt planen und realisieren möchten. Denn ohne uns sind sie machtlos.
Diese Feststellung ist nicht neu. Unzählige Bücher von grossen Denkern appellieren an jeden von uns, unzählige Predigten berühren auch solche Themen und zahlreiche uneigennützige Organisationen setzen sich für eine bessere Zukunft für alle ein. Diese Aufgabe wirkt aber immer noch wie „Berge versetzen“.
Das kann ein einzelner Mensch nicht. Für Milliarden Menschen kann es aber eine leichte Aufgabe sein. Hunderttausende Menschen haben Berge in der Form von Pyramiden aufgebaut. Einen Stein nach dem anderen. Es gilt das «Gesetz von Tropfen». Ein einziger Tropfen kann den heissen Stein nicht abkühlen, ein Regen, der nur aus Tropfen besteht, aber spielend. Die scheinbar unmögliche Aufgabe Berge zu versetzen reduziert sich auf die Aufgabe Milliarden Menschen dazu zu motivieren, dass sie ihre Möglichkeiten finden, „Tropfen“ in Gang zu setzen.
Was kann jeder der Milliarden Menschen konkret tun?
Jeder dieser „Tropfen streuenden“ Menschen ist auf seine Art einmalig. Somit sind die Möglichkeiten eines jeden von ihnen unterschiedlich und für ihn spezifisch. Man kann aber gewisse gemeinsame Motive sehen.
Was bewog unsere Vorfahren zu bestimmten Handlungen? Lässt sich auch hier eine Entwicklung erkennen? Haben wir Fortschritte gemacht? Schauen wir uns nochmals die schon früher beschriebenen Beispiele der Bibel an:
Was bewog Kain dazu, seinen Bruder zu töten? Er war Ackerbauer, der Bericht der Bibel erwähnt bei ihm kein Problem oder Leiden. Er war in der Lage, dem Herrn Opfer von seiner Ernte zu bringen, also nicht in Not oder am Verhungern. Auch das Ausmass der Anerkennung seiner Opfergaben war nicht das Entscheidende. Eigentlich wäre er – absolut gesehen – mit seinem Leben zufrieden gewesen, mit seiner Arbeit und seiner Ernte. Doch er betrachtete seine Situation relativ, indem er sich mit seinem Bruder verglich. Der Herr schaute anscheinend mehr auf Abels Gaben und Kain erlag dem Gift des Neides – der Konkurrenzkampf begann. Auch das ein „Geschenk“ der Schlange?
Gott sah die Gefahr und forderte Kain klar zum Denken auf (wie auch Saulus): „Warum bist Du zornig?“, gefolgt von einer Warnung: „Die Sünde lauert vor der Tür“ und einer ebenfalls klaren Anweisung: „Du sollst aber Herr werden über sie.“ (Genesis, 4.7).
Die Menschheit, hier repräsentiert von Kain, war vor Jahrtausenden offensichtlich noch unreif und weit entfernt davon, die Botschaft deuten zu können. Typisch für unreife Menschen wird Kain von kindischer Eifersucht übermannt. Abel ist der Erste, der aus sinnloser Rivalität getötet wurde. Typisch ist noch, dass Kain dadurch gar nichts gewonnen hatte. Gott schaute seine Opfergaben – den Auslöser des Konfliktes – nach seiner Tat nicht mehr als vorher an und Kains Leben war anschliessend alles andere als besser.
Ein paar Jahrtausende später, etwa 1500 v. Chr. ist die Situation nicht besser. Aus dieser Zeit stammt die Schilderung von Isaaks Familie. Die «absoluten» Eigenschaften und Fähigkeiten, wie Fleiss, Begabung, Charakter etc. werden immer noch, oder sogar noch mehr, überdeckt von künstlich geschaffenen Wertkategorien, die einen Menschen durch den Vergleich mit anderen Menschen definieren. Zum Beispiel das Erstgeburtsrecht.
Esau, der Erstgeborene, „wurde ein Mann, der sich auf die Jagd versteht, ein Mann des freien Feldes. Jakob aber war ein gesitteter Mann, der bei den Zelten blieb“ (Genesis, 25,27). Esau scheint mehr mit der Natur verbunden zu sein und ist bereit, sein Erstgeburtsrecht gegen ein Linsengericht zu verkaufen. Sein Hunger ist real und die Reihenfolge, wie er und sein Bruder zur Welt kamen, ist für ihn keine nennenswerte Tatsache. Jakob, der bei den Zelten blieb, wusste das offensichtlich auch, schon darum, weil er diese „Eigenschaft“ für käuflich hält. Er weiss aber auch, welche Vorteile sie in der „relativ orientierten Welt“ haben kann.
Das wird spätestens bei der Segnung der Söhne durch den Vater Isaak deutlich. Durch diese ominöse, in der Tat bedeutungslose und durch List ergatterte Schein-Reihenfolge, kann der geschickte Händler Jakob eine Zukunft erwarten, in der „Völker ihm dienen sollen, und Nationen sollen sich vor ihm niederwerfen“. Dazu kommt noch, dass er „Herr über seine Brüder sein soll“, also auch über den echten Erstgeborenen.
Als Isaak später erfährt, dass alles ein Betrug war, hätte er eigentlich begreifen müssen, dass ein Segen, der auf einer käuflichen „Eigenschaft“ basiert, falsch ist. Er ist aber selber ein Sklave der von Menschen erfundenen und eingeführten Gesetze und noch nicht reif, diesen Götzen der künstlichen „Menschenungleichheit“ zu stürzen. Er schafft es aber doch zu einem Rat an Esau: „…Doch, wenn du dich losreisst, wirst du sein Joch von deinem Nacken schütteln.“ (Genesis, 27,40). Sein Sohn soll sich also selber von falscher Unterordnung befreien.
Mit dieser sehr wenig konkreten, hoch symbolischen Anleitung kann der junge Esau nicht viel anfangen. Wieder droht die Gefahr der gleichen fatalen Schleife: „Und sie dienten ihren Götzen, und diese wurden ihnen zum Fallstrick“. Esau plant Jakob umzubringen.
So weit war also kein Fortschritt in Richtung einer vernünftigeren Menschheit zu sehen. Es war eher umgekehrt: Die relative Wahrnehmung der Wertkategorien wurde weiter ausgebaut und befestigt.
Immerhin läutet die weitere Geschichte von Esau und Jakob eine Chance für eine bessere Zukunft ein. Jakob spielte seine Rolle als Herr über seine Brüder nicht und „blieb nicht bei den Zelten“, sondern arbeitete jahrelang bei Laban, um sich eine Frau zu verdienen. Als er später seinen Bruder Esau traf, „…warf er sich siebenmal zur Erde nieder“ und versuchte ihn zu beschenken. Esau war aber inzwischen auch reifer. Er lief „seinem Bruder entgegen, umarmte ihn, fiel ihm um den Hals und küsste ihn, und sie weinten“. Zu den „Versöhnungsgeschenken“ von Jakob sagte er: „Ich habe genug, mein Bruder. Behalte, was du hast (Genesis, 33,9).
„Ich habe genug“ ist eine absolute und glaubhafte Definition eines Menschen, der zufrieden ist. Er braucht nicht mehr zu haben als sein Bruder, wahrscheinlich auch nicht mehr als andere Menschen um ihn. Esau gehorcht nicht mehr dem Götzen von Überlegenheit, ewigen Vergleichen und Konkurrenzkampf. Er geniesst sein Leben. Das Joch muss er nicht kämpferisch von seinem Nacken schütteln. Wenn er und sein Bruder reifer werden, können sie vor Freude weinen, nicht aus Neid.
Esau und Jakob zeigen, dass eine Entwicklung, eine Wandlung zu reiferen – und dadurch auch zufriedeneren – Menschen auch innerhalb eines Lebens möglich ist. Eine bewusste, zielorientierte Planung im Sinne einer autokreativen Teleologie ist diese Wandlung noch nicht, sie enthält aber alle dazu notwendigen Schritte.
Und wir heute? Ist die Menschheit heute reifer geworden? Kaum. Wir streben bald überhaupt keine absoluten Werte mehr an. Die meisten unserer Ziele beruhen auf dem Vergleich mit irgendeinem anderen Menschen. Absolut könnten wir alle friedlich und gut versorgt leben, wir verschwenden aber den grössten Teil unserer Zeit und Energie an einen sinnlosen Wettbewerb, sinnlos und gefährlich.
Nehmen wir als Beispiel die drei Wünsche, die oft als allgemein akzeptierte Ziele vieler Menschen angegeben werden: Sicherheit, Wohlstand und Erfolg.
Die Sicherheit eines Landes wird im Allgemeinen verstanden als «besser bewaffnet und militärisch überlegen zu sein als die potentiellen Feinde». Diese Formulierung wirkt an einem konkreten Ort zu einer bestimmten Zeit verständlich. Weltweit und zukunftsorientiert ist sie aber ein banaler Widerspruch. Sicherheit wollen alle. Um dieses Ziel mit einer solchen Strategie zu erreichen, müssten alle besser bewaffnet sein als alle anderen, was ein logischer Unsinn ist.
Doch dient die Menschheit diesem Götzen der relativen Sicherheit, obwohl sie bereits zunehmend in „ihrem Fallstrick“ gefangen ist. Es braucht kein Fachwissen um einzusehen, dass diese Strategie ihr Ziel nie erreichen kann. Das Rüstungswettrennen steigert sich nur weiter und der „Fallstrick“ wird immer gefährlicher.
Der Unsinn wird noch deutlicher. Nicht einmal diejenigen, die lokal und gegenwärtig militärisch überlegen sind, können sich sicher fühlen. Das Kampfpotential ihrer Gegner mag etwas schwächer sein, genügt aber immer noch, um das Leben auf ganzen Kontinenten in kürzester Zeit zu vernichten. Etwa zehnmal hintereinander. Das Resultat? Die Jagd nach der relativen Überlegenheit von Einzelnen führt zum Verlust der absoluten Sicherheit für alle. Diese könnte nur realisiert werden, wenn es gar keine Waffen gäbe. Oder keinen Grund, mit anderen Gruppierungen zu kämpfen.
Das hängt mit dem anderen Wunsch zusammen: Wohlstand. Auch hier sind wir in den Fängen der relativen Vergleiche. Absolut gesehen produziert die Menschheit genug Nahrung und Güter, damit sich alle wohl fühlen könnten. Relativ, verglichen mit einem anderen Menschen oder einer anderen Nation, wird es immer jemand geben, der mehr hat. Der Götze der Rivalität, basierend auf dem Ziel „mehr haben als …“, lässt uns kaum das geniessen, was wir haben.
Die Wörterbuch-Definition des dritten Wunsches – Erfolg – ist: „Erreichen der selbstgesetzten Ziele“. Mit absolut definierten Zielen wie „neue Computersprache lernen“, „Gartenzaun anstreichen“ oder „ein Buch schreiben“ kann man auch den Erfolg als erreicht erleben und geniessen. Leider ist das Leben der meisten Menschen von Vergleichen geprägt. Bewusst oder unbewusst steht überall die Aufforderung versteckt, „weiter zu kommen oder es weiter zu bringen als die Mitmenschen“.
Zurück zu den Möglichkeiten von Menschen, welche die Entwicklung zu einer besseren Zukunft mit ihren „Tropfen“ unterstützen möchten. Wirkt die Idee immer noch als ein Ding der Unmöglichkeit, ein unrealistisches „Berge versetzen“?
Überhaupt nicht. Die Botschaft „…und schafft euch ein neues Herz und einen neuen Geist!“ muss man nur ergänzen:
„Verwende dafür das Talent, das dir Gott schenkte: deine Fähigkeit, Verlauf und Folgen der Entwicklungsprozesse zu begreifen und aktiv zu beeinflussen. Ob du das eine autokreative Teleologie nennst, spielt keine Rolle. Und du musst dazu nicht unbedingt an den gleichen Gott glauben. Es ist gleichgültig, wie klein dein Tropfen ist. Wichtig ist, dass es Milliarden davon gibt.“
PS: „Du könntest in diesem Bestreben auch einen neuen Sinn des Lebens finden“. Ezechiel.
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